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Uraufführung und „opus ultimum“

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Ein Konzert mit Streichmusik und Interviews zum Geburtstag
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Zwei Komponisten feiern in diesem Jahr ein rundes Jubiläum: Roland Leistner-Mayer hatte im Februar seinen 70. Geburtstag, Herbert Baumann wird im Juli 90 Jahre alt. Beide Künstler haben sich viele Jahre lang um den Tonkünstlerverband verdient gemacht, und so widmete der Regionalverband München ihnen ein Geburtstagskonzert mit Werken für Streichquartett und -trio in der Versicherungskammer Bayern. Mit Yuki Kasai und Max Peter Meis (Violine), Kelvin Hawthorne (Viola) und Olivier Marron (Violoncello) konnten vier hochkarätige Musiker gewonnen werden, um die Werke von Leistner-Mayer und Baumann zu präsentieren. Von Letzterem waren zwei ältere Werke aus den 60er- beziehungsweise 80er-Jahren ausgewählt worden, von Leistner-Mayer dagegen zwei aktuelle.

neue musikzeitung: Herr Leistner-Mayer, andere Menschen in Ihrem Alter genießen längst den Ruhestand oder denken zumindest ans Aufhören. Von Ihnen allerdings hören wir heute Abend zwei Uraufführungen. Offenbar schränkt das Alter Ihre Produktivität ganz und gar nicht ein.

Roland Leistner-Mayer: Momentan nicht, und wenn man überlegt, dass Verdi mit 80 Jahren noch den Falstaff geschrieben hat, hab ich noch viel Zeit vor mir. So lange ich produktiv bin, werde ich weiterarbeiten. Das Alter hat ja auch Vorteile: Die Arbeit geht zwar langsamer voran als früher, aber man kann sich Gott sei Dank auch Zeit lassen und macht nur noch das, was einem wirklich zusagt.

Grundsätzliche Themen

Womit sich der Komponist beschäftigt, sind recht grundsätzliche Themen: Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was erwarten wir? Was erwartet uns? Um diese exis­tentiellen Fragen geht es in den „7 Untapferen Bagatellen“, die als Pendant zu den „7 tapferen Klavierstücken“ gemeint sind. In beiden Kompositionen werden dieselben Fragen gestellt, die Antworten darauf sind jedoch divergent: Auflehnung und Trotz gegen die Ungewissheit machen die Tapferkeit aus, Verdrängung und Rückzug die „Untapferkeit“.

Hinter dem verschlossenen Fenster schweift der Blick zwar zum Berg und zum Wassergraben, aber der Schritt hinaus ins Freie wird nicht gewagt. Verzagt klingt die Musik trotzdem nicht. Erregte Dialoge, tremolierende Zwischentönen, tosende Fluten und Angst vor dem bedrohlich Unbekannten – all das ist zu hören, ebenso wie der Rückzug, das Sich-Zurücknehmen der Musik am Ende jeder Bagatelle und das wehmütige, aber letztlich friedvolle „Passare in...“, das Übergehen in einen neuen, unbekannten Zustand.

Mit seinem inhaltlichen Ansatz legt Leistner-Mayer der Musik eine gewisse Beschränkung in Richtung und Dynamik auf, die aber den Blick öffnet fürs Detail, für kleinteilige Vorgänge und Feinheiten. Sensibel spüren die vier Musiker diesen nach und entlocken ihren Instrumenten tief empfundene, aber auch virtuose Klänge. Ein dichtes, dramatisches Werk ist Leistner-Mayers „Streichquartett Nr. 5“ in vier Sätzen, das in seinem kraftvollen Nach-vorne-Drängen vermuten lässt, dass der untapfere Weg des Rückzugs sicher nicht der des Komponisten ist und dass weitere Uraufführungen zu erwarten sind.

nmz: Herr Baumann, von Ihnen werden heute Abend zwei ältere Stücke aufgeführt.
Herbert Baumann: Ja, ich finde es immer gut, wenn Stücke, die man schon vor vielen Jahren komponiert hat, noch leben und nicht irgendwo auf Nimmerwiedersehen in der Versenkung verschwunden sind. Ich bin ja auch schon alt und lebe noch – so soll es bei den Stücken auch sein.

Ans Werk

Und so ist es: Mit sichtlich viel Spaß machen sich die Musiker ans Werk, und unter ihren Bogenstrichen sprüht das dreisätzige „Streichquartett C-Dur“ nur so vor Leben. Leichtfüßig, mal heiter mal dramatischer, oft mit Augenzwinkern und klanglich immer saftig präsentiert sich die Musik und drückt wohl auch die Erleichterung aus, die Baumann nach seinem Umzug von Berlin nach München empfunden hat.

„Hier habe ich mich wohl gefühlt. Man war frei und nicht immer, wie ich sage, vom roten Meer umgeben. Das äußerte sich auch in meiner musikalischen Art und Weise, so dass ich alle möglichen Geschichten – Aleatorik, Zwölftonmusik – neu ausprobierte.“ Auch die „Herbstmusik“ für Streichtrio basiert auf einer Zwölftonreihe, ist aber kein sperriges Werk. Nach dem schwebenden ersten Teil in melancholischer Stimmung, drängt die Musik im zweiten Satz stürmisch nach vorne, verweht sich wie ein Herbststurm im flüchtigen Chaos und erstirbt zuletzt.

Seine Neugier und Offenheit für neue Anregungen hat der Komponist sich bis heute bewahrt.

Baumann: Ich habe schon sieben oder acht mal mein letztes Opus, mein „opus ultimum“, komponiert, aber es gibt doch immer wieder Anstöße und Gelegenheiten, die einen dazu veranlassen weiterzumachen. Gerade zum Beispiel läuft eine neue Ausschreibung zu der Notenreihe „Neue Töne“ für Blechblasinstrumente, zu dem ich ein Stück für Trompete gemacht und eines für Trompete und Posaune bearbeitet habe. Und damit ist jetzt auch ganz sicher mein „opus ultimum“ geschaffen!

nmz: Diese Ausschreibung, ein Kompositionswettbewerb, wird von der nach Ihnen benannten Herbert-Baumann-Stiftung ausgerichtet.

Baumann: Die Wettbewerbsidee entwickelte sich aus der Stiftungsarbeit, quasi ohne mein Zutun. Ich habe das Geld dafür gegeben beziehungsweise gebe immer noch, wenn es mir möglich ist, damit diese Sache am Laufen bleibt.

nmz: Es ist doch eine schöne Aussicht, dass Ihr Name neben Ihren Werken auch durch so eine Einrichtung weitergetragen wird.

Baumann: Ohne Frage. Darüber bin ich auch sehr glücklich und ein bisschen stolz, dass mir das gelungen ist; dass man auch mit ernster Musik genug Geld verdienen kann, um sich so etwas erlauben zu können. Ich freue mich, wenn ich auf diese Weise Nachwuchsmusikern unter die Arme greifen kann.

Engagement zahlt sich aus

Roland Leistner-Mayer und Herbert Baumann hatten und haben ein prall gefülltes, engagiertes  Komponistenleben. Etwas davon an die Nachwelt und insbesondere an die Nachwuchsgeneration von Musikern weiterzugeben – als Komposition oder durch die „Neuen Töne“ –, ist beiden Künstlern ein Anliegen. Ihr Engagement zahlt sich aus – denn ein Konzert auf diesem künstlerischen Niveau ist ein Zeichen von großer Wertschätzung und ein tolles Geburtstagsgeschenk.

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