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Lydia Grün, Präsidentin der HMTM (links) nimmt den Abschlussbericht von Helga Dill, Geschäftsführerin des IPP München entgegen. Foto: Severin Vogl

Lydia Grün, Präsidentin der HMTM (links) nimmt den Abschlussbericht von Helga Dill, Geschäftsführerin des IPP München entgegen. Foto: Severin Vogl

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Die strukturelle Komponente in den Blick nehmen

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Die Münchener Musikhochschule präsentiert Studie zu „Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexualisierter Gewalt“
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„Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexualisierte Gewalt sind in München kein Thema der Vergangenheit, sondern ein Thema der Gegenwart. Damit setzen wir uns jetzt und auch in Zukunft auseinander.“ Das Statement, das Prof. Lydia Grün, Präsidentin der Hochschule für Musik und Theater München (HMTM), bei der Präsentation der wissenschaftlichen Studie „Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexualisierte Gewalt an der HMTM“ abgab, war ein klares Signal. Nach den öffentlich gewordenen Fällen des ehemaligen Hochschulpräsidenten Dr. Siegfried Mauser (Verurteilung wegen sexueller Nötigung 2019) und des ehemaligen Kompositionsprofessors Hans-Jürgen von Bose (Verurteilung wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz 2021) geht die HMTM in Sachen Aufarbeitung und Prävention in die Offensive. Sie beauftragte das Institut für Praxisforschung und Projektberatung München (IPP) mit „der ersten Vollerhebung in ganz Deutschland über Machtmissbrauch an einer Musikhochschule mit repräsentativem Anspruch“, so das Selbstverständnis. Neben qualitativen Interviews fand die Erhebung per Fragebogen von Ende Juni bis Ende Juli 2023 unter allen Hochschulangehörigen statt. 27,8 Prozent der Hochschulangehörigen nahmen an der Vollerhebung teil (512 Personen von 1.840 Befragten, darunter rund 23,7  % aller Studierenden, 10,7 % der Jungstudierenden, 37,7 % der Lehrenden und 51,6  % der Beschäftigten in der Hochschulverwaltung). Diesen Rücklauf bezeichnete IPP-Geschäftsführerin Helga Dill als „ordentlich“, musste aber vor allem angesichts der Zahlen bei den Studierenden auch einräumen: „Wir können nicht sagen, dass das repräsentative Ergebnisse sind.“

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So oder so wurde Handlungsbedarf deutlich: Von den drei im Titel der Studie genannten Gewaltformen, die abgefragt wurden, sei der Missbrauch von Macht am häufigsten genannt worden, so der Abschlussbericht: „89 % von 466 Befragten haben bei der Frage nach konkreten Situationen angegeben Machtmissbrauch selbst erlebt, gesehen oder davon gehört zu haben. Knapp 70 % berichtet hier von eigenem Erleben. Die Erfahrungen mit Macht­missbrauch beziehen sich auf die letzten drei Jahre. Das legt den Schluss nahe, dass Machtmissbrauch weiterhin ein aktuelles Problem ist.“ Das IPP kategorisierte dabei in vier Bereiche: Materielle Benachteiligung sowie arbeitsbezogener, personenbezogener und körperlich einschüchternder Machtmissbrauch. Die überproportionalen Rückläufe aus dem Bereich der Verwaltung decken sich mit divergierenden Einschätzungen des allgemeinen Klimas an der HMTM. Während dieses von einem Großteil der Studierenden und Lehrenden positiv beschrieben wird („motivierend und unterstützend“), fällt die Einschätzung von Mitarbeitenden aus Verwaltung und zentralen Einrichtungen „überproportional negativer aus als bei den anderen Statusgruppen“.

Was Formen von sexualisierter Gewalt betrifft, so hätte ein Drittel der Teilnehmenden Erfahrungen damit im Kontext der Hochschule gemacht, wobei „Hands-Off Handlungen“ (im Gegensatz zu „Hands-On“) überwogen. Betroffen seien „überwiegend Studierende, überwiegend weiblich gelesene Personen und zwischen 18 und 29 Jahren alt“. Die „gewaltausübenden Personen“ seien „hingegen eher männlich, überwiegend Lehr- oder Leitungspersonen“.

Lydia Grün zeigte sich in ihrer Stellungnahme betroffen und formulierte bei der Pressekonferenz die von vielen lange erwartete öffentliche Entschuldigung: „Die hohe Zahl der berichteten Fälle durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie erschüttern uns und sie erinnert uns erneut daran, was wir spätestens seit den Fällen sexueller Gewalt und Grenzverletzung Mauser und von Bose empfinden: Verantwortung. Bei all jenen, die an unserer Hochschule persönliches Leid erfahren haben, möchte ich mich im Namen der Hochschule entschuldigen.“ Betroffene ehemalige Studierende und Lehrende lud sie ausdrücklich ein, sich an die Hochschule zu wenden: „denn wir wollen lernen“.

Aufhorchen ließ im Zusammenhang mit der Diskussion über die Umfrage der studentischen Initiative (siehe Seite 1) diese Formulierung Grüns: „Die berichteten Zahlen der Teilnehmer*innen an der Studie geben uns einen deutlichen Hinweis darauf, dass es sich hierbei um ein Problem mit auch einer strukturellen Komponente handelt.“ Der Sieben-Punkte-Plan, den sie anschließend vorstellte, ließ keinen Zweifel daran, dass die HMTM auch bei dieser strukturellen Komponente ansetzen will. So wird die Hochschule in zwei besonders sensiblen Bereichen Änderungen vornehmen: Für die Ballett­akademie wird künftig eine Doppelspitze aus künstlerischer und geschäftsführender Leitung verantwortlich sein; das Jungstudium wird unter dem Namen HMTM Young Academy neu aufgestellt, wobei unter anderem Prüfungs- und Studienordnungen überprüft und pädagogische Weiterbildungen verpflichtend gemacht werden. Auf die gesamte Hochschule bezogen müssen neue Mitarbeitende in Lehre und Verwaltung ein verpflichtendes Fortbildungsprogramm durchlaufen, in den Tanz-, Theater- und Gesangsstudiengängen werden Intimitätskoordinator*innen und -Coaches einbezogen. Zu den weiteren Elementen des Sieben-Punkte-Plans gehören die Gründung eines Zentrums Kunst & Gesundheit, „das sowohl mentale als auch physische Gesundheit in den Blick nimmt“, ein spezielles Programm für ausländische Studierende (die sich deutlich unterproportional an der Umfrage beteiligt hatten) und Verbesserungen der internen Kommunikation.

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Felix Starzonek, Mitglied der Studierendenvertretung, sprach bei der Präsentation der Studie von einem wegweisenden Tag für die Hochschule und formulierte mit Blick auf die Ergebnisse der deutschlandweiten Umfrage die Hoffnung, dass von den Ergebnissen der Studie „eine Signalwirkung für alle Musikhochschulen im deutschsprachigen Raum“ ausgehen wird. Die geringe Beteiligung der Studierenden an der Umfrage wertete er als Zeichen fehlenden Vertrauens und mangelnder Aufklärung. Es müsse ein Studienumfeld geschaffen werden, „das nicht weiter alte Strukturen toleriert und reproduziert, sondern ausgehend von den Hochschulen die Musikwelt zu einem offenen und respektvollen Raum macht“, so Starzonek, der vor allem für den Bereich des nach wie vor als wertvoll erachteten Einzelunterrichts „Kontrollmechanismen und klare Konsequenzen“ einforderte. Abschließend machte er deutlich, dass der Veränderungsprozess an der HMTM von weiteren Befragungen begleitet werden müsse, „um damit den Fortschritt und weiterhin bestehende Probleme aufzudecken und zu beobachten.“

Auf eine entsprechende Rückfrage hin bestätigte Lydia Grün, dass in etwa drei Jahren eine weitere Studie angestoßen werden soll, deren Ergebnisse dann in vier Jahren vorliegen dürften.

  • Der komplette Abschlussbericht des IPP München, der Sieben-Punkte-Plan sowie weitere Informationen zum Thema sind auf der Hochschulwebseite abrufbar: https://hmtm.de
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