Stell Dir vor es ist „Jugend musiziert“ und keiner geht hin? Solange es diese dreistufige Förder- und Begegnungsmaßnahme gibt, wird das nicht passieren. Die rund 2.000 Jugendlichen, die sich in diesem Jahr über Pfingsten in Wuppertal zum Bundeswettbewerb treffen, zeugen von musikalischer Reife und Leistungsbereitschaft. Welch eine frohe Botschaft in krisenhaften Zeiten!

Elyne Maillard und Arnaud Maillard, beide aus Villars-sur-Glâne/Romandie, wurden mit 24 Punkten 1. Preisträger:innen in der Kategorie Popgesang beim 59. Bundeswettbewerb Jugend musiziert 2022 in Oldenburg. Fotograf: Alexander Kremer
Wann sind die Besten gut genug?
Leider steckt nun auch Jugend musiziert in der tiefsten Krise seit seinem Bestehen. Die Kontingentierung und das damit von der Bundesebene gewählte Nominierungsverfahren zum Bundeswettbewerb hat mit der Grundvereinbarung des föderalen Miteinanders zwischen Bund und Ländern erstmals in der Geschichte von Jugend musiziert gebrochen.
Bisher berechtigten alle ersten Preise auf Landesebene zur Teilnahme am Bundeswettbewerb. Die Weiterleitungen sollten jetzt aber auf ein Kontingent von 1.250 Wertungen begrenzt werden. Die wechselnden Begründungen des Bundes zur Einführung des neuen Zulassungsverfahrens – unter anderem finanzielle und logistische Engpässe – sind angesichts der Lösungsvorschläge und Appelle der Länder zur Beibehaltung des bisherigen Verfahrens schwer nachvollziehbar. Zwar konnten nach den heftigen Auseinandersetzungen wohl in letzter Minute alle durch einen ersten Preis „Nominierten“ zum Bundeswettbewerb 2025 eingeladen werden, aber auch für die kommenden Wettbewerbsjahre soll an dem neuen Verfahren festgehalten werden. Diese Entwicklung hat Verunsicherung und Unverständnis in der Jugend-musiziert-Familie ausgelöst, begleitet von einer desaströsen Krisenkommunikation seitens der den Bundeswettbewerb durchführenden Deutscher Musikrat gGmbH.
Verantwortlichkeiten
Der Deutsche Musikrat (DMR) ist auch Träger des Bundeswettbewerbs. An der Spitze der Verantwortungspyramide steht das Präsidium als alleiniger Gesellschafter seiner gemeinnützigen Projektgesellschaft, vertreten durch den DMR-Präsidenten, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der DMR gGmbH ist. Der Gesellschafter trägt damit letztendlich die Verantwortung für die inhaltliche Ausrichtung und deren bedarfsgerechter Finanzierung. Diese Aufgabe hat er auch gegenüber dem Souverän, der DMR-Mitgliederversammlung, zu verantworten.
Jugend musiziert wurde bisher im Geiste einer föderalen Verantwortungsgemeinschaft aus den Regionen, Landesmusikräten und den tragenden Verbänden – allen voran der Verband deutscher Musikschulen und der Deutsche Tonkünstlerverband – sowie dem DMR durchgeführt. Gefördert wurde der Wettbewerb dabei unter anderem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), der Sparkassen Finanzgruppe und der auf Landes- und Kommunalebene jeweils gastgebenden Regionen.
Das beim Wettbewerb entstehende Netzwerk aus künstlerisch-pädagogisch Lehrenden, Kindern und Jugendlichen mit ihrem jeweiligen sozialen Umfeld sowie den Juroren bildet einen Sympathiebooster für die musikalische Bildung in Kita, Schule Musikschule und Verein. Rund eine Million Kinder und Jugendliche haben seit Gründung von dieser Förder- und Begegnungsmaßnahme profitiert – und damit auch unsere Gesellschaft.
Drei Impulse
1) Gemeinsam Verantwortung tragen
Der Blick nach vorn und die Rückkehr des Gesellschafters zu der gemeinsam getragenen föderalen Verantwortungsgemeinschaft sollten die weiteren Dialog- und Aushandlungsprozesse bestimmen. Die aktuell rückschauende Aufarbeitung mag Bestandteil der Gremienarbeit sein, ist aber in der Außenkommunikation nicht zielführend.
Gerade weil dieses Juwel jugendpolitischer Förderung mit einer besonders starken Identifikation verbunden ist, gilt es jetzt mehr denn je das sicht- und spürbare Zeichen gemeinsamen Handelns zur inhaltlichen Ausrichtung und deren ordnungspolitischen Verwirklichung zu setzen. Das ist auch im Hinblick auf die vertrauensvolle Partnerschaft zwischen Wettbewerb und Zivilgesellschaft, der Wirtschaft, den Kirchen und den Parlamenten und Regierungen auf den jeweiligen föderalen Ebenen von elementarer Bedeutung für die Weiterentwicklung von Jugend musiziert.
2) Erst die Inhalte, dann der Rahmen
Es war bisher nicht nur bei Jugend musiziert bewährte Tradition, sich zuerst über mögliche Modifikationen der Konzeption und Organisation zu verständigen und danach für die Umsetzung zu sorgen. Das ist kein Hexenwerk, sondern für mehrere Jahre im Voraus planbar.
Vermeintlich mangelnde Ressourcen als Begründungsgrundlage für zentrale inhaltliche Veränderungen herzunehmen, ist die falsche Reihenfolge und führt in eine Sackgasse. Hingegen schafft die Verbindung von bürgerschaftlichem Engagement und hauptamtlich professioneller Umsetzung eine gute Ausgangssituation für mehr – ein mehr an Teilhabegerechtigkeit, Begegnung, Wettbewerb und Beratung.
Die Anregungen der letzten Zentralkonferenz, der Landesmusikräte und der Projektbeiräte sind eine gute Ausgangsbasis, sich zuerst über mögliche Modifikationen der Jugend-
musiziert-Konzeption zu verständigen, um danach mit politischer Kärrnerarbeit für die notwendigen Rahmenbedingungen zu sorgen.
3) Politische Kärrnerarbeit
Klar sind die Verteilungskämpfe in den letzten Jahren härter geworden. Die Mittelverteilung in den öffentlichen Haushalten bleibt aber für die drittstärkste Industrienation der Welt immer noch eine Frage der Prioritätensetzungen. Der DMR hat in der Vergangenheit mit politischer Kärrnerarbeit mehrfach substanzielle Verbesserungen auch über mehrere Haushaltsjahre hinweg erreichen können. Der Leitgedanke, politische Sonntagsreden im Vollzug der öffentlichen Haushalte in Montagshandeln zu verwandeln, hat nichts an Aktualität verloren.
Perspektiven
Stell Dir vor es ist Jugend musiziert und nur ein Prozent der etwa fünf Millionen musizierenden Kinder und Jugendlichen klopfen an das Eingangstor. Jugend musiziert hätte um die 50.000 Anmeldungen. Welch eine schöne Perspektive für unser Land! Wirkungsvoller als so manch millionenschweres Programm zur Demokratieförderung.
Die Musik um ihrer selbst willen steht im Mittelpunkt dieser Wettbewerbsbegegnung und natürlich sind die Kinder und Jugendlichen mit ihren Familien nebst sozialem Umfeld ein hoffnungsvolles Leuchtfeuer für Empathie und gesellschaftlichen Zusammenhalt in krisenhaften Zeiten – mit dem Blick auf die deutschen Auslandsschulen mit internationaler Dimension.
Um die Wirkmächtigkeit dieser Arbeit zu erhalten und weiter auszubauen, braucht es vor allem eine deutliche Stärkung der Regionalebene. Die Jugend musiziert-Idee generiert immer wieder ein hohes Maß an bürgerschaftlichem Engagement, das im Verbund hauptamtlicher Umsetzung professionelle Qualitätsmaßstäbe setzt. So hat zum Beispiel das hoch engagierte Jugend musiziert-Team für den Bundeswettbewerb viele Herausforderungen, unter anderem die Digitalisierung des Wettbewerbs, sehr gut gemeistert.
Sollte sich die aktuelle Förderstruktur – Jugend musiziert ist Bestandteil des „Kinder- und Jugendplans“ des BMFSFJ – für den weiter notwendigen Ausbau des Bundeswettbewerbs als zu unflexibel erweisen, könnte auch über eine Auslagerung an anderer Stelle im Bundeshaushalt nachgedacht werden.
Der gesellschaftliche Mehrwert dieser Arbeit ließe sich um ein Vielfaches potenzieren, wenn dem „lausigen Zustand der kulturellen Bildung“ (Norbert Lammert) durch eine durchgängige und qualitätsgesicherte Vermittlung in Kita und Schule begegnet würde. Jugend musiziert liefert eine Blaupause für politisches Handeln in Bezug auf einen kooperativen Bildungs- und Kulturföderalismus.
Die Musik erreicht den Menschen in einer beispiellosen Breite und Tiefe seines Seins.
Ziele und Verantwortung
Jugend musiziert definiert nicht, welche Jugend und welche Musik adressiert wird. Diese weite Sichtachse sollte künftig wieder stärker das Fundament beim Ringen um Zielsetzung, Profil und Teilhabegerechtigkeit sein. Die Verzwergung im Klein-Klein der Bedenken verengt den Blick auf das vermeintlich Machbare. Im Sinne von Teilhabegerechtigkeit und gesamtgesellschaftlicher Mitverantwortung bei der Zukunftsgestaltung für unser Land brauchen wir immer wieder die Rückversicherung aus der Vogelperspektive auf das Musikland Deutschland. Was gibt es Schöneres, als die angeborene Neugierde, die jedes Baby mit auf die Welt bringt, zu erhalten und zu befördern.
Die Verantwortungspyramide in der Jugend musiziert-Familie muss im Sinne einer gleichberechtigten Partnerschaft wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden – denn ohne die Arbeit der Regionalebene, der öffentlichen Musikschulen und der selbstständig künstlerisch-pädagogisch Lehrenden, dem Eingangstor zu Jugend musiziert – gäbe es weder Landeswettbewerbe noch einen Bundeswettbewerb.
Pflicht und Glück
Die hohe gesellschaftliche Wertschätzung – bis hin zur immer wieder erneuerten Schirmherrschaft aller Bundespräsidenten – ist Motivation und Verpflichtung. Jugend musiziert steht für die bestmögliche Förderung und hebt Kreativpotentiale, befördert die Kulturelle Vielfalt im Sinne der gleichnamigen UNESCO-Konvention und steht für eine offene Gesellschaft. In diesem Sinne gehört Jugend musiziert zu den größten Glücksfällen für unser Land.
- Christian Höppner ist Präsident des Deutschen Tonkünstlerverbandes und unterrichtet seit 1986 Violoncello an der Universität der Künste Berlin. Er ist Ehrenpräsident des Landesmusikrates Berlin sowie Ehrenvorsitzender von Jugend musiziert Berlin und hat den Wettbewerb aus vielen Perspektiven kennengelernt und mitgestaltet – als Teilnehmer, Vater, Juror, Juryvorsitzender und Mitglied des Projektbeirates.
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