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Dieter Schnebel in der Kilians-Kreuzkapelle des Würzburger Exerzitienhauses Himmelspforten. Foto: Susanne van Loon
Dieter Schnebel in der Kilians-Kreuzkapelle des Würzburger Exerzitienhauses Himmelspforten. Foto: Susanne van Loon
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Der Komponist Dieter Schnebel ist tot

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Er starb am Sonntag im Alter von 88 Jahren an einem Herzleiden in Berlin, wie sein Sohn Andreas Schnebel der Deutschen Presse-Agentur sagte. Zuerst hatte Deutschlandfunk Kultur über den Tod Schnebels berichtet.

Dieter Schnebel wurde am 14. März 1930 in Lahr/Baden geboren. 1949 begann er ein Studium an der Freiburger Musikhochschule; zusätzlich besuchte er Vorlesungen Martin Heideggers an der Freiburger Universität und knüpfte engen Kontakt zu den Protagonisten der Kranichsteiner (heute Darmstädter) Ferienkurse für Neue Musik (Adorno, Varèse, Messiaen, Nono, Stockhausen, später Cage). Von 1952-56 studierte Schnebel evangelische Theologie (bei Karl Barth und Rudolf Bultmann), Philosophie und Musikwissenschaft (bei Walter Gerstenberg, Promotion über die Dynamik bei Schönberg) in Tübingen. Daran schloss sich eine Pfarr- und Lehrertätigkeit in Kaiserslautern, Frankfurt a. M. und München an. Seit 1970 ist er in zweiter Ehe mit Iris Kaschnitz verheiratet. 1976 wurde eigens für ihn eine Professur für experimentelle Musik und Musikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin eingerichtet, die er bis zur Emeritierung 1995 innehatte. Die Arbeit als Theologe setzte Schnebel durch Predigttätigkeit an der Johann-Sebastian-Bach-Kirche und an der St.-Annen-Kirche in Berlin fort. Er verfasste zahlreiche musikwissenschaftliche Essays und Bücher, deren Themen von Bach über Beethoven, Schubert, Schumann, Wagner, Mahler und Debussy bis zu Cage und Kagel reichen.

Anfänglich komponierte Schnebel strikt seriell: Stücke für Streichinstrumente (1954/55), dt 31,6 (1956-58), Compositio (1955/56). Die Ablehnung jeglichen Dogmatismus führte ihn zu experimentellen Konzept- und Prozesskompositionen, aus dieser Phase stammen Glossolalie 61 (1959/60), Das Urteil (nach Kafka, 1959) und Ki-No (1963/67), in denen er die Verwendung der Stimme um völlig neue Dimensionen vom Flüstern und Röcheln bis hin zum Schreien erweiterte. Außerdem entstanden kirchenmusikalische Werke (Für Stimmen (…missa est) (1956-69), Dahlemer Messe (1984/87), Magnificat (1996/97), missa brevis (2000-02)) sowie Bearbeitungen von Bach-Chorälen und Orgelwerke, darunter auch Stücke für den Kirchenpavillon der EXPO 2000 und die documenta 2001. Durch die Gründung der Theatergruppe "Die Maulwerker" an der Hochschule der Künste systematisierte Schnebel sein nur teilweise auf den "Fluxus" (réactions 1960/61, visible music 1960/62, anschläge-ausschläge 1965/66) zurückzuführendes, offenes Werkkonzept, in dem Musiker zum unkonventionellem Einsatz ihrer Instrumente und Stimmen und zu Aktionen im Raum aufgefordert werden (Harley-Davidson für 9 Motorräder und Trompete 2000, Flipper für Spielautomaten, Darsteller, Instrumente und Tonband 2002/03).

In jeweils mehrjährigen Kompositionsprozessen entstanden die Zyklen Maulwerke, Körper-Sprache, Schulmusik, Laut-Gesten-Laute, Museumsstücke, Schau-Stücke und Bachmann-Gedichte. In den Zyklen Re-Visionen (1972-92) und Tradition (1975-95), ferner in den auf die griechische Mythologie verweisenden Kammermusikwerken der Reihe Psycho-Logia (u.a. Pan 1978/88 und Medusa 1989/93) entfaltete Schnebel neuartige Konzeptionen der Beziehung traditioneller und neuer, respektive experimenteller Musik. Zu Schnebels Schlüsselwerken zählen die Oper Majakowskis Tod – Totentanz (1989/97), das großangelegte Vokalwerk Ekstasis (1996/97/2001) und die monumentale Sinfonie X (1987/92/2004).

1991 wurde Schnebel mit dem Lahrer Kulturpreis ausgezeichnet. 1999 verlieh ihm die Stadt Schwäbisch Gmünd den erstmals vergebenen Preis der Europäischen Kirchenmusik. Er ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin, der Freien Akademie der Künste Leipzig (beides seit 1991) und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (seit 1996).

 

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