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Weitere Umbesetzung in Bayreuth
Festspielhaus Bayreuth. Foto: Juan Martin Koch
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„Ring“-Dirigent Meister: „Habe gespürt, dass ich zurückkehren würde“

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1998 kam Cornelius Meister als Stipendiat erstmals nach Bayreuth. Die Faszination für die Richard-Wagner-Festspiele hat ihn seitdem nicht wieder losgelassen. Und jetzt hatte Bayreuth für ihn noch eine ganz große Überraschung parat.

Cornelius Meister (42) kommt mit dem Fahrrad zum Bayreuther Festspielhaus. Sonnenstrahlen fallen auf den Platz vor dem Königsportal, gleich beginnen wieder die Proben. Wochenlang hat Meister für die Eröffnungspremiere „Tristan und Isolde“ gearbeitet, nun musste der Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart kurzfristig umplanen: Weil Dirigent Pietari Inkinen heftig an Corona erkrankt ist, konnte er nicht weiter proben. Meister also übernahm von ihm den vierteiligen „Ring des Nibelungen“. Und Markus Poschner, Chef des Bruckner-Orchesters Linz, dirigiert „Tristan und Isolde“. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht Meister über die Gastfreundschaft der Bayreuther, die derzeitigen Proben – und natürlich über Richard Wagners Mammutwerk.

Frage: Angereist sind Sie als musikalischer Leiter von „Tristan und Isolde“, nun sitzen Sie hier als Dirigent des „Rings“. Haben Sie das schon realisiert?

Antwort: Ehrlich gesagt, hatte ich in den vergangenen Tagen überhaupt keine Zeit, an anderes zu denken als an die Kernthemen der Produktion, denn die Premiere soll richtig gut werden. Wir proben von früh morgens bis spät abends.

Sie haben sich über Monate intensiv mit „Tristan und Isolde“ befasst. Wie schwer ist es, da nun kurzfristig umzuswitchen auf den „Ring“?

Ich will nicht verheimlichen, dass mich die Situation in einen Gewissenskonflikt gestürzt hat. Denn in der Tat haben wir diese „Tristan“-Produktion über Monate hinweg gemeinsam vorbereitet. Für mich ist eine Produktion nicht etwas, das austauschbar ist wie ein Kühlschrank zweier Marken. Ich fühle mich üblicherweise als Teil einer Produktion. Auf der anderen Seite: Den Festspielen aus der Patsche zu helfen in dieser misslichen Situation ist selbstverständlich. Zumal ich den „Ring“ bekanntlich seit vielen Jahren im Repertoire habe. Das ist eine Notsituation, die man sich nicht ausgesucht hat. Ich war sehr glücklich, dass die Festspiele mir vor wenigen Tagen für 2023 einen Vertrag für den „Tristan“ angeboten und dies auch öffentlich kommuniziert haben, so dass ich diese Produktion nicht einfach verlassen habe. Es ist eine große Freude mit dem „Ring“-Team seit ein paar Tagen. Deswegen fühle ich mich in der „Ring“-Produktion bereits sehr wohl und heimisch.

Das Orchester ist natürlich das gleiche wie bei der „Tristan“-Produktion, ansonsten aber ist es eine andere Mannschaft. Und der „Ring“ ist ein Werk enormen Ausmaßes ...

Für mich als Dirigent ist es generell selbstverständlich, dass ich das Ziel habe, eine Dramatik herzustellen, und zwar mit allen Beteiligten. So begreife ich meine Aufgabe. Ein Dirigent, der sich bei einer Oper oder einem Musikdrama als reiner Orchester-Dirigent fühlen würde, wäre sicherlich komplett fehl am Platz. Deswegen verbringe ich zum Beispiel heute buchstäblich den gesamten Tag mit den Sängerinnen und Sängern – und zwar einzeln am Klavier. Zusätzlich zu den Ensembleproben ist es mir wichtig, mit jedem allein an den jeweiligen Partien zu arbeiten. Da geht es genau um das Herausarbeiten dieser Dramatik. Die Szene einerseits und die musikalische Ausformung andererseits sind zwei Seiten der gleichen Medaille – und zwar der Dramatik.

Doch die Zeit ist knapp ...

Ja, ich tue gerade nichts anderes. Ich habe unglaublich nette Vermieter hier, die haben gleich, als sich die Veränderung abzeichnete, gesagt: Können wir etwas für Sie tun, können wir was einkaufen? Das ist doch großartig!

Ist es genau das, das Bayreuth von anderen Gastspielen unterscheidet?

Es ist nicht gleichzusetzen mit irgendeinem anderen Veranstaltungsort. Ich habe – das ist ja kein Geheimnis – nicht nur davon geträumt, sondern auch innerlich gespürt, dass ich hierher zurückkehren würde. Jetzt ist es soweit und es fühlt sich sehr natürlich an.

Wann waren Sie das erste Mal hier?

1998 als 18-Jähriger, damals war ich Stipendiat, wie viele, die heute hier dabei sind. In den Jahren darauf war ich hier als Korrepetitor beim Gesangswettbewerb und auch als Hospitant. Das klingt, als wäre es nichts besonderes. Aber ich war unglaublich glücklich, dass ich bei diesen Proben zuhören durfte, da dies ja kaum jemandem sonst erlaubt wird. Das war das größte Geschenk, das man mir damals machen konnte. 2004 bei der „Parsifal“-Neuproduktion war ich Assistent. Diese Erfahrungen mit dem Haus, mit der Akustik, mit der Arbeitsweise waren die Voraussetzung dafür, dass ich zugesagt habe, als die Anfrage für „Tristan“ kam.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem „Ring“-Regisseur Valentin Schwarz?

Valentin Schwarz war Regieassistent an der Staatsoper Stuttgart – zwar vor meiner Zeit, aber wir kennen uns schon seit einigen Jahren. Ich schätze ihn sehr, es ist beeindruckend, mit welcher Genauigkeit er dieses Werk für sich regelrecht aufgefressen hat. Einerseits. Andererseits geht er aber mit großer Leichtigkeit an die Sache heran. Das ist eine sehr schöne Mischung.

Würden Sie die Umschreibung Leichtigkeit auch für Ihren Umgang mit Wagner in Anspruch nehmen?

Je länger ich mich damit befasse, desto deutlicher ist mir, wie unterschiedlich seine Werke sind. Und wie sich innerhalb der Werke die einzelnen Akte, die einzelnen Szenen voneinander unterscheiden. Das macht für mich auch die Größe dieser Werke aus. Dass sie gerade nicht bloß einen einzigen Aspekt der Welt abbilden. So wie der zweite Teil von Goethes „Faust“ den Anspruch verfolgt, in gewisser Hinsicht die gesamte Welt in sich zu vereinen, so ist diese Vieldimensionalität in all ihren Stimmungen ein Kennzeichen des „Rings“. Ist der „Ring“ pathetisch, leicht, schwermütig, witzig? Ja, alles. Aber zu unterschiedlichen Zeiten.

Als Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart haben Sie Videos aufgenommen, in denen Sie beispielsweise eine Einführung in „Die Walküre“ geben, zu sehen bei YouTube. Wird es in Ihrer Branche immer wichtiger, nicht nur mit den Profis der Bühne und des Orchestergrabens zu arbeiten, sondern auch zu erklären für ein breites Publikum?

Ich glaube, das war immer wichtig. Nehmen wir Leonard Bernstein: Seine Videos sind zeitlos großartig. Es gibt ein grandioses Video, in dem er in fünf Minuten die Musikgeschichte erklärt. Es ist gleichermaßen erhellend und beeindruckend für die, die noch nie mit klassischer Musik in Berührung kamen, wie aber auch für uns. Weil es bei Musik nie darauf ankommt, wer wie viel Vorbildung hat, sondern ob es unser Herz erreicht. Mir macht es Spaß, die Begeisterung, die ich selber habe, mit anderen zu teilen.


ZUR PERSON: Cornelius Meister stammt aus Hannover, er ist seit 2018 Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart. 2005 wurde er in Heidelberg jüngster Generalmusikdirektor Deutschlands. Als Gast dirigierte er bereits an den großen Häusern: Mailänder Scala, Royal Opera House Covent Garden London, Wiener Staatsoper, Metropolitan Opera New York.

 

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