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Studie zu Musik an Grundschulen: wichtig und zu wenig

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Gütersloh (dpa) - Musik ist einer Studie zufolge wichtig für die Persönlichkeitsbildung von Kindern, findet aber in den ersten Schuljahren zu wenig statt. Musik werde in den Grundschulen zu selten unterrichtet und dann auch noch häufig «fachfremd» von nicht dafür ausgebildeten Lehrkräften.

Das geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten Untersuchung hervor, die die Bertelsmann Stiftung, der Deutsche Musikrat und die Landesmusikräte-Konferenz beauftragt hatten. Demnach haben die Grundschüler in den ersten vier Schuljahren je nach Bundesland einen Anspruch von ein bis zwei Stunden Musik in der Woche. Zu rund 43 Prozent werde der Unterricht von Musiklehrern und zu etwa 50 Prozent «fachfremd» erteilt - sieben Prozent der Sollstunden fielen aus. Es gebe größere regionale Unterschiede. Wie für alle Schulformen und fast alle Fächer bestehe auch bei Musikpädagogen ein Mangel.

Bei Einstellungen seien die Schulen oft bemüht, zunächst die Hauptfächer zu besetzen, sagte Maresi Lassek, Bundesvorsitzende des Grundschulverbands, der Deutschen Presse-Agentur. Die Bedeutung des Musikunterrichts werde unterschätzt, der musisch-ästhetische Bereich in der Grundschule «total vernachlässigt.»

Der Deutsche Musikrat sprach von einem «Weckruf». Werde nicht gegengesteuert, «ist die musikalische Bildung an Grundschulen bald Vergangenheit», warnte Generalsekretär Christian Höppner laut Mitteilung. Sie sei aber wichtiger Baustein für die Bildung der Persönlichkeit von Heranwachsenden und gehöre zu den elementaren Kulturtechniken. Es müssten deutlich mehr Musiklehrer ausgebildet werden, aktuell tätige Fachlehrer sollten ihren Stundenanteil ausweiten, vorübergehend seien Seiteneinsteiger sinnvoll.

In die Untersuchung waren Daten aus Länderministerien, Statistikämtern und Kultusministerkonferenz eingeflossen. Die Studie bezieht sich nur auf 14 Bundesländer - nicht auf Bayern und das Saarland. Die dortigen Ansätze seien nicht vergleichbar, erläuterte die Vorsitzende der Landesmusikräte-Konferenz, Ulrike Liedtke. Für die 14 Bundesländer fehlten aktuell 23 000 Musikpädagogen. Die Lücke werde sich ohne Maßnahmen noch vergrößern.

Mit der Studie habe man für das Grundschulfach Musik erstmals belastbare Zahlen zu Stundentafeln, erteiltem Unterricht und Lehrkräften. «Das Thema Musikunterricht in den Grundschulen braucht mehr Gewicht», forderte Liedtke. Über Musik könne die Empathie- und Kommunikationsfähigkeit der Schüler gestärkt werden. Gemeinsames Musizieren unterstütze auch die Inklusion von Kindern mit Beeinträchtigungen und die Integration von Zugewanderten mit noch schwachen Sprachkompetenzen.

 

Ergänzung:

 - In die Untersuchung eingeflossen sind Daten aus den zuständigen Ministerien fast aller Bundesländer, diese allerdings variierend für die Schuljahre 2016/17 bis 2018/19 - sowie Material der Kultusministerkonferenz plus Statistiken der Länder und des Bundes. Aufgrund deutlich abweichender Ansätze in Bayern und im Saarland ist den Angaben zufolge hier keine Vergleichbarkeit gegeben, die Aussagen der Studie gelten daher nur für 14 Bundesländer.

- Die beauftragten Wissenschaftler kommen vom Musikpädagogischen Forschungsinstitut Hannover und dem Leibniz-Institut für Bildungsforschung.

- Der Deutsche Musikrat ist der Dachverband des Musiklebens hierzulande und steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die Konferenz der Landesmusikräte bereitet unter anderem Projekte wie «Jugend musiziert» vor.

 

Pressemeldung des Deutschen Musikrates:

An deutschen Grundschulen fehlen 23.000 ausgebildete Musiklehrerinnen und Musiklehrer – Tendenz steigend
 
Viele Schulkinder haben keine hinreichende Chance auf musikalische Bildung in der Grundschule, weil Musik zu selten unterrichtet wird und zu oft von nicht dafür ausgebildeten Lehrkräften. Das zeigt die erste bundesweite Auswertung von Daten zum Musikunterricht in Deutschland. Der in den nächsten Jahren weiter zunehmende Musiklehrermangel erfordert Gegenmaßnahmen.
 
Den Grundschulen in Deutschland gehen die Musiklehrer aus. Dies ist das Ergebnis einer vom Deutschen Musikrat, der Konferenz der Landesmusikräte sowie der Bertelsmann Stiftung gemeinsam beauftragten bundesweiten Erhebung, die erstmals belastbare Zahlen zur Situation des Musikunterrichts auf Länderebene liefert. Demnach gibt es in den 14 Bundesländern, deren Daten für die Auswertung herangezogen werden konnten, einen Bestand von rund 17.000 Musiklehrerinnen und -lehrern. Um den in den Lehrplänen der Länder vorgegebenen Umfang an Musikunterricht fachgerecht abzudecken, würden rechnerisch jedoch ca. 40.000 Musiklehrkräfte benötigt. Die Berechnung berücksichtigt, dass der Umfang des vorgesehenen Musikunterrichts teilweise sehr voneinander abweicht: In den ersten vier Schuljahren haben Kinder, je nach Bundesland, einen Anspruch auf eine oder auf zwei Musikstunden pro Woche. Im Ergebnis fehlen in den 14 untersuchten Ländern rund 23.000 grundständig ausgebildete Musikpädagogen. Dies führt dazu, dass lediglich 43 Prozent des von den Ländern vorgeschriebenen Unterrichts von grundständig ausgebildeten Musiklehrkräften erteilt werden. Detaillierte Aussagen zum Unterrichtsausfall sind nicht für alle 14 Länder möglich. Auf Basis der vorliegenden Daten ist jedoch davon auszugehen, dass 50 Prozent des vorgesehenen Musikunterrichts fachfremd erteilt werden und der Rest, also rund 7 Prozent, ausfallen. Dabei variiert der Anteil des fachfremd erteilten Unterrichts stark zwischen den Ländern und liegt zwischen 11 Prozent und 73 Prozent. Im Westen Deutschlands wird tendenziell öfter fachfremd unterrichtet als in Ostdeutschland.
 
Werden keine Gegenmaßnahmen ergriffen, stiege der Mangel an grundständig ausgebildeten Musiklehrkräften für die Grundschule weiter an, da in den kommenden acht Jahren sich die Lücke auf voraussichtlich rund 25.000 Lehrerinnen und Lehrer vergrößert. Der Anteil des fachgerecht erteilten Musikunterrichts fiele entsprechend weiter, von 43 Prozent auf 39 Prozent im Durchschnitt. Das zeigt die Modellrechnung der Studienautoren, Prof. Dr. Andreas Lehmann-Wermser, Ute Konrad und Prof. Dr. Horst Weishaupt. Die wachsende Kluft entsteht einerseits dadurch, dass altersbedingt mehr Musiklehrkräfte den Schuldienst verlassen als Nachwuchskräfte nachrücken. Zum anderen nimmt der Bedarf an Lehrkräften infolge der steigenden Zahl von Grundschulkindern weiter zu.
 
Grundschule ermöglicht allen Kindern Zugang zur Musik
 
Ohne ein ausreichendes Angebot an Musikunterricht in der Grundschule bekommen vor allem sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler kaum Chancen, mit Musik in Kontakt zu kommen. Dazu sagt Liz Mohn,­­ stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung: „Musik ist unverzichtbarer Bestandteil unserer Bildung. Sie fördert Kreativität, Lebensfreude, Gemeinschaft sowie die gegenseitige Verständigung. Musikalische Bildung besitzt damit einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Persönlichkeitsentwicklung. Die Grundschule erreicht als einzige Schulform alle Kinder und ist für viele von ihnen der einzige Ort, an dem sie einen uneingeschränkten Zugang zur Musik erhalten.“
 
„Das Ergebnis dieser Studie ist ein Weckruf“, so Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates. „Wenn Politik und Gesellschaft jetzt nicht handeln, ist die musikalische Bildung an Grundschulen bald Vergangenheit – und damit ein zentraler Baustein für die Persönlichkeitsbildung Heranwachsender. Musikalische Bildung gehört zu den elementaren Kulturtechniken einer humanen Gesellschaft. Deshalb sind jetzt die Parlamente und Regierungen der Länder aufgefordert, die finanziellen Voraussetzungen für eine qualifizierte und kontinuierliche musikalische Bildung zu schaffen.“
 
Ulrike Liedtke, Vorsitzende der Konferenz der Landesmusikräte, sagt: „Die Befunde sind eindeutig. Musikalische Bildung in unserem Land braucht mehr gut ausgebildete Musiklehrerinnen und Musiklehrer. In der Grundschulzeit werden die Grundlagen für lebenslange Bildungsbiografien gelegt. Der Deutsche Musikrat, die Landesmusikräte, die Politik, die Wissenschaft sowie die Gesellschaft als Ganzes stehen in der Verantwortung, der nächsten Generation die Musik mit auf den Weg zu geben – als Ressource für die Zukunft.“
 
Mögliche Maßnahmen gegen den Musiklehrermangel
 
Angesichts des bereits hohen Ausmaßes an fachfremd erteiltem Unterricht und Unterrichtsausfall ist es dringend erforderlich, dass Landesregierungen, Schulbehörden und Hochschulen gleichermaßen aktiv werden und entschlossen handeln. Ausgehend von den Ergebnissen der Untersuchung empfehlen sich folgende Ansatzpunkte für Maßnahmen: bedarfsgerechter Ausbau der Studienkapazitäten, Erhöhung des Stundenanteils, mit dem ausgebildete Musiklehrkräfte das Fach Musik unterrichten, sowie, für eine Übergangsphase, die Gewinnung von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern nach verbindlichen Standards. Damit eine Versorgung mit qualifizierten Musiklehrkräften künftig sichergestellt werden kann, braucht es außerdem ein deutschlandweit konsistentes Monitoring unter dem Dach der Kultusministerkonferenz.
 
Zusatzinformationen
 
Für die Studie „Musikunterricht in der Grundschule – Aktuelle Situation und Perspektive“ haben die Professoren Andreas Lehmann-Wermser, Direktor des Instituts für Musikpädagogische Forschung der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, Horst Weishaupt, ehem. Forschungsdirektor am DIPF (jetzt: Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation) sowie Ute Konrad, Mitarbeiterin am IMPF der HfMTH Hannover, im Auftrag des Deutschen Musikrates, der Konferenz der Landesmusikräte und der Bertelsmann Stiftung Daten zum Status quo des Musikunterrichts an deutschen Grundschulen analysiert und eine Abschätzung der weiteren Entwicklung in den nächsten acht Jahren vorgenommen. Bei der Erhebung und Auswertung der Daten haben die Projektpartner eng mit den Kultusministerien der Länder sowie der Kultusministerkonferenz zusammengearbeitet. Die Ergebnisse der Studie basieren, wenn nicht anders angegeben, auf von den Ländern auf Anfrage zur Verfügung gestellten Daten für das Schuljahr 2016/17. Abweichend davon stellten die Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen Daten für das Schuljahr 2017/18 bereit; die von Hamburg gelieferten Daten beziehen sich auf das Schuljahr 2018/19. Bayern, das Saarland und Niedersachsen haben keine Daten zur Verfügung gestellt. Ergänzend wurde auf Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes, der Kultusministerkonferenz und auf veröffentlichte statistische Daten auf Länderebene zurückgegriffen. Aus diesem Datenpool konnten die Autoren Ergebnisse für 14 der 16 Bundesländer ermitteln. Aufgrund inkonsistenter und/oder unvollständiger Daten mussten zahlreiche Annahmen getroffen und einzelne Parameter geschätzt werden. Ausführliche Angaben zum methodischen Vorgehen der Autoren finden sich in Kapitel 2 der Studie. Wo immer möglich, wurden Annahmen konservativ gewählt, so dass die Ergebnisse der Studie das Ausmaß an fehlenden grundständig ausgebildeten Musiklehrkräften eher unterschätzen.

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