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Pompeo Magno – Cencic (Pompeo), Sabadus (Servillio). © Clemens Manser Photography

Pompeo Magno – Cencic (Pompeo), Sabadus (Servillio). © Clemens Manser Photography

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Sehr viel ist nicht zu viel: Stimmen- und Material-Sternstunde zu Cavallis „Pompeo Magno“ bei Bayreuth Baroque

Vorspann / Teaser

Eine tolle Entdeckung, ein souveränes Totalereignis, Sinnlichkeit und minimale Ironie durch Prachtüberschuss. Bayreuth Baroque kleckert nicht, sondern klotzt: Die besten Stimmen, die phänomenale Capella Mediterranea als Residenzorchester und ein bisschen flamboyante Selbstdarstellung. Das macht Freude, ist spätsommerlich entspannt und zieht Rote-Teppich-Voyeure an. Das sechste Jahr Bayreuth Baroque wurde mit einem Staatsempfang nach der Premiere von Francesco Cavallis „Pompeo Magno“ (1666) zum sensationellen Auftakt für elf opulente Tage bis 14. September.

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Ein knappes Vierteljahrhundert nach Monteverdi und dessen zynischer Festa teatrale „L'incoronazione di Poppea“ war die junge Kunstform Oper an den öffentlichen Theatern Venedigs noch wilder, ausgelassener, schneller und bizarrer geworden. Zumindest in einigen Spitzenwerken wie der 1666 uraufgeführten Karnevalsoper „Pompeo Magno“, die Max Emanuel Cencic zur Eröffnung seines Bayreuth Baroque Festival gewählt hatte. Sogar für den mit heute bekannten Stücken wie „La Calisto“, „Egisto“ und „Giasone“ Francesco Cavalli war die Vertonung des Librettos von Nicolò Minato ein Extremfall - wenn man der überbordend farbigen, lasziven und durchweg begeisternden Premiere im opulenten Markgräflichen Opernhaus traut. Leonardo García-Alarcón kam mit dieser auch am 14. Oktober 2025 konzertant im Theater an der Wien gastierenden Produktion seinem Ziel der Aufführung aller 27 Cavalli-Opern einen gewichtigen Schritt näher. Gewichtig „nur“ durch die Bedeutung: Die furiose, delikate und dionysisch durchlichterte Ausführung der von García-Alarcón dirigierten Cappella Mediterranea geriet zur Sternstunde.

Es ist kein PR-Gig, wenn Bayreuth Baroque „Pompeo Magno“ als bisher größtes Projekt der 2020 gestarteten und im sechsten Spieljahr noch blutjungen Festivalgeschichte bezeichnet: Als Theater- und Musikereignis ist diese Produktion einfach Spitze! Die in diesem Genre erwartbar intrigen- und amouren-lastige Handlung aus höchsten Kreisen des alten Rom und seiner Gegner kann man aufgrund Reizüberflutung diesmal getrost vernachlässigen. Cavallis Musik eilt mit sagenhaft lebendigen und hier äußerst agil gestalteten Rezitativen von Szene zu Szene. Es gibt viele Ensembles und im Vergleich zu Händels Londoner Opera serie nur wenige Arien, welche über die Figuren desto mehr verraten.

Naheliegend also: Ein Venedig-Panorama wie auf opulenten Gemälden des Barock. Der auch die Titelpartie singende Max Emanuel Cencic animierte das Ensemble zur überbordenden und drastischen Spiellust, welche trotzdem weder in den Kalauer noch in die Zote abglitt. Helmut Stürmer setzte elegante Säulen, Bögen und Wägen wie auf Gemälden. Corina Gramosteanus Kostüme sind eine Augenweide aus raffinierten Faltenwürfen, Talaren und Opulenz sogar in den Karikaturen. Zu Beginn belebt sich die Bühne mit all dem Volk, was man mit venezianischem Straßenleben assoziiert. Es flanieren Damen, Kurtisanen, Liebende, Kanaillen und Intrigierende. Immer ist etwas in Bewegung – und wenn es beim Leid der eleganten Matrone Issicratea (berückend junge Stimme: Mariana Flores) die arabesken Dienerinnen sind. Dieses Wirbeln impulsiert die Musik und umgekehrt gibt diese dem dekadenten Tohuwabohu Sinn und Form. Jede Sekunde dieser drei Musikstunden ist ein anderer Griff hinein ins volle Menschenleben: Kuppelei, Alkohol, Rache, Mordabsichten - am Ende dann Harmonie und Verzeihen nach dem Erscheinen Amors mit knappem Schurz und Riesenflügeln.

Shakespearesche Dimensionen

Cavallis Figurenarsenal hat Shakespearesche Dimensionen. Kurzweil, Amüsement und Aktionseifer werden also noch größer. Betreffend Handlungsdichte im Musiktheater ist „Pompeo Magno“ rekordverdächtig – und trotzdem bleibt Zeit für bedächtig schöne Klangnischen. García-Alarcón motiviert neben einem dramatisch akzentuierten Brio auch in langsamen Stellen zu sinnlich aufgeladener Herbheit, einem sehnigen Federn und Eleganz mit Bodenhaftung. Aufregend und hypnotisch zieht das durch bis zur Verbeugungsmusik.

Über die insgesamt erstklassigen Besetzungen resümiert man hier besser in Grüppchen als einzeln. Den Prinzipal Cencic mitgezählt setzen gleich sieben Countertenöre die vokale Oberhoheit. Man kann „Pompeo Magno“ als Bayreuther Mehrgenerationen-Oper für das zum Standard gewordene Stimmfach betrachten. Befürchtungen über die kurze Halbwertzeit und Haltbarkeit dieser Vokalspezies zerstreut Veteran Dominique Visse als Delfo. Die Countereleven Pierre Lenoir und Angelo Kidoniefs haben als Ratsmitglieder schon musicalgemäßes Spielmaterial. Als Repräsentanten der durchstartenden Altersgruppe gibt Alois Mühlbacher die eher sakrale, weiße Stimmspielart. Nicolò Balducci wird innerhalb kürzester Zeit vom Liebhaber- ins Kastraten-Heldenfach wechseln. Mit selbstverständlicher Souveränität agieren Cencic und Valer Sabadus, die Bestager. Gegenüber dieser Belcanto-Prinzengarde haben alle anderen keinen so leichten Stand. Definitiv erstklassig agieren sie: Sophie Junker, Victor Sicard, Nicholas Scott. Valerio Contaldo, Jorge Navarro, Marcel Beekman, Ioannis Filias und Christos Christodoulou. Kleine Partien gibt es nicht, weil trotz eines überaus präsenten Schauspielensembles alle extrem viel zu tun haben. Binär und nonbinär, in Travestie oder heteronormativ. Trotz eindeutiger Symbolik und vitaler Erotik bleibt alles im Rahmen des Schicklichen. Eine solche Balance muss man erst einmal hinbekommen, ohne ins Sterile abzugleiten. „Pompeo Magno“ ist Theater für alle Sinne und ein musikalisches Totalereignis.

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