2003 wurde der Gitarrist und Hochschullehrer Martin Maria Krüger zum Präsidenten des Deutschen Musikrates gewählt. Seit damals ist er fünf Mal wiedergewählt worden. Seine sechste Amtszeit ist nun seine letzte. Anlass für nmz-Chefredakteur Andreas Kolb, sich mit dem Präsidenten zu einem Interview zu verabreden.

Martin Maria Krüger. Foto: Finn Loew
Dankbarer Blick auf sechs erfüllte Amtszeiten
neue musikzeitung: Sie sind der Präsident mit der häufigsten Wiederwahl und auch der insgesamt längsten Amtszeit von 22 Jahren. Wie geht es einem nach so einer langen Epoche?
Martin Maria Krüger: Mein Grundgefühl ist Dankbarkeit. Ich bin froh, dass ich dabei sein durfte. Es waren 22 ausgesprochen spannende und interessante Jahre. Und wenn ich sehe, wo der Musikrat heute steht, wie er auch in der Politik und gesellschaftlich laufend an Wahrnehmung gewinnt, darf ich sagen: Ich freue mich über diese Entwicklung.
nmz: Während Ihrer Amtszeit wurden etliche Neuerungen und Projekte angestoßen. Welche würden Sie an erster Stelle nennen?
Krüger: Die allererste Neuerung hat tatsächlich der Bundestag angestoßen. Nämlich dass sich 2003 der Deutsche Musikrat in zwei rechtliche Einheiten aufspalten musste. Das war eine Folge der damaligen Insolvenz, die eingetreten war aufgrund haushaltsrechtlicher Probleme. Das war etwas, was der Mitgliederschaft und den damals zum Inner Circle des Deutschen Musikrats gehörenden Personen unglaublich schwerfiel. Es gehörte zur DNA des Deutschen Musikrats, dass die Projekte unmittelbar integriert waren in die ehrenamtliche Arbeit. Es zeigte sich aber, dass es aus Sicht der Bundespolitik keine wirklich tragfähige Lösung gab, die ein Verbleiben der Projekte innerhalb des e.V. ermöglicht hätte. Ich bin heute der festen Überzeugung, dass dies der einzig richtige Weg war. Wir haben heute eine hervorragende professionelle Führung der GmbH. Wir haben auch einen hervorragend aufgestellten politischen Dachverband.
nmz: Welche Themen und Projekte waren Ihnen besonders wichtig?
Krüger: Zunächst einmal hat sich von Anfang an die Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Musikrats geändert. Das lag am sehr professionell arbeitenden damaligen Geschäftsführenden Präsidium, das nach der Neuaufstellung des Musikrats zunächst auch von der Satzung her eine besondere Rolle einnahm. Das war Jens Michow als der Architekt unserer neuen Öffentlichkeitsarbeit. Dann kam natürlich mit Christian Höppner ein Generalsekretär, der eminent medienaffin war. Zu den maßgeblichen Neuerungen zähle ich die Errichtung von PopCamp, einem professionellen Band-Coaching-Projekt. Etwas, was wirklich ein Glücksgefühl bei mir bis heute auslöst, ist die Begründung des Bundesjugendchores vor wenigen Jahren. Es ist ein völlig ungewöhnlicher Vorgang gewesen, dass Bundesministerin Franziska Giffey nach einem einzigen Gespräch, das wir am Rand eines Konzertes in der Elbphilharmonie geführt haben, kurze Zeit später entschieden hat, diesen Bundesjugendchor zu begründen.
nmz: Ihre Amtszeit war auch eine Gründerzeit…
Krüger: Den Musikfonds, der natürlich kein Projekt des Deutschen Musikrats ist, aber von ihm erkämpft wurde, betrachte ich als großen Erfolg. Ebenso die Initiative Musik mit Federführung durch Dieter Gorny. Träger der Initiative, die als Gemeinnützige GmbH organisiert ist, sind die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) und der Deutsche Musikrat. Ich darf auch bis heute dem Musikfonds vorsitzen, wo wir soeben eine neue Geschäftsführerin, die Musikwissenschaftlerin und Kuratorin Dahlia Borsche, bisher beim Berliner Künstlerprogramm des DAAD, begrüßt haben. Ein auch persönlicher Erfolg ist der umfassende Vertrag mit dem Goethe-Institut, den wir mit der damaligen Präsidentin Jutta Limbach geschlossen haben. Es ging dabei um die Internationale Verbindungsstelle, die zum Jahresbeginn 2003 als Folge eines Anstoßes des Bundesrechnungshofes, der vom Bundestag diskutiert wurde, vom Musikrat zum Goethe-Institut transferiert wurde. Das war ein extrem schmerzhafter Einschnitt für den Deutschen Musikrat, der schließlich auf Betreiben des Generaldirektors der UNESCO und unter Federführung einerseits der damals existierenden Amateurmusik- und Pädagogischen Verbände, andererseits der Deutschen UNESCO-Kommission Anfang der 50er-Jahre ganz ausdrücklich mit dem Auftrag gegründet worden war, internationale Verbindungen der Zivilgesellschaft zu schaffen.
nmz: Es fällt noch mehr Internationales in Ihre Amtszeit…
Krüger: Wenn ich es von der zeitlichen Abfolge her sehe, hatte ich sofort vom ersten Moment an Kontakt mit dem Warschauer Herbst. Das kam über unsere zeitgenössischen Musikprojekte, mit denen der Deutsche Musikrat schon in Polen präsent war. Übrigens hat da auch der Herausgeber der neuen musikzeitung, Theo Geißler, im Zusammenhang mit seiner Arbeit im Deutsch-Französischen Kulturrat eine Rolle gespielt.
nmz: Dann kam der Blick nach China?
Krüger: Wir hatten dort einen Freund: Lin Yang, der über herausragende Beziehungen verfügte und es dadurch ermöglicht hat, dass höchstrangige Kontakte bis hin zum damaligen Vizekulturminister von China zustande kamen. Ich erinnere mich an sehr schöne Projekte wie erstmals ein Projekt des Bundesjugendorchesters mit Beteiligung von Musikerinnen und Musikern eines Partnerlandes. 2007 und 2008 fand das mit 20 jungen chinesischen Musikerinnen und Musikern in Peking und in Deutschland statt und war großartig. Aus diesem Kontakt entstand auch ein nachhaltiges Partnerschaftsprogramm der Folkwang-Hochschule Essen. Und: Seit einigen Jahren arbeitet „Jugend musiziert“ sehr erfolgreich unter der Federführung von Beiratsvorsitzendem Ulrich Rademacher mit einem chinesischen Veranstalter zusammen, der genau nach diesem Vorbild aus Deutschland verfährt.
nmz: „Jugend musiziert“! Ein Bereich, der in Ihrer Amtszeit auch eine besondere Rolle gespielt hat. Was bedeutet Ihnen dieses Projekt?
Krüger: „Jugend musiziert“ ist eines der großen Vorzeigeprojekte Deutschlands – und zwar nicht nur im Musikleben, sondern in der gesamten Jugendförderung. Es gibt kaum ein anderes Projekt, das über Jahrzehnte hinweg so kontinuierlich gewirkt hat, über Grenzen hinweg. Die Öffnung für Pop, für neue Formate, für Kooperationen auch mit Partnern aus dem Ausland, das alles sind Entwicklungen, die „Jugend musiziert“ unglaublich bereichert haben. Ich halte es für eine der ganz großen Erfolgsgeschichten des DMR und seiner Partner auf Länder- und Regionalebene, und es hat mich immer stolz gemacht, wenn ich im Ausland darauf angesprochen wurde.
nmz: Zurück zu den internationalen Themen ...
Krüger: Das dritte Land in der Reihenfolge war dann für mich Venezuela. Der Anstoß zu dieser Zusammenarbeit war von Jeunesses Musicales und Detlef Hahlweg gekommen in Form eines Besuches des Bundesjugendorchesters in Caracas und dem dortigen Zusammenspielen mit dem heute international etablierten Simón Bolívar Orchester, das damals noch ein Jugendorchester mit dem zu der Zeit auch noch ganz jungen Dirigenten Gustavo Dudamel war. Da wurde auch eine Absichtserklärung mit El Sistema beschlossen, mündend später in zwei groß angelegte Bildungsprojekte für venezolanische Lehrer:innen sowie Klavierstimmer in Deutschland.
nmz: Gibt es weitere Meilensteine?
Krüger: Also ein Meilenstein nicht nur für den Deutschen Musikrat, sondern für die internationale Kulturpolitik war zweifellos die UNESCO-Konvention „Kulturelle Vielfalt“. Der Begriff kulturelle Vielfalt in seiner Gesamtheit, als ständige Forderung an uns alle, damit umzugehen und ihr gerecht zu werden, ist von fundamentaler Bedeutung. Erst recht für Deutschland, ein Land, das zu einem Einwanderungsland geworden ist und wo eine Verantwortung besteht für alle Menschen, die sich auf unserem Boden befinden.
nmz: Zuwanderung ist ein großer demographischer Faktor heutzutage, eine alternde Gesellschaft ein anderer …
Krüger: Wir hatten schon früh, etwa 2005 bis 2007, angefangen, uns mit Musik und Alter zu befassen und unter anderem einen Kongress dazu veranstaltet. Heute ist das ein viel größer gewordener Komplex geworden: Musik und Gesundheit und Musik und Demenz. Und da berührt sich auch wieder vieles untereinander. Wir sind glücklich über die Kooperationen mit der Charité zum Beispiel im letzten Jahr. Wir koordinieren die Bundesinitiative Musik und Demenz „BIMuD“ und sind auch Teil der nationalen Demenzstrategie.
nmz: Das Jahresthema 2025 lautet Musik und Demokratie.
Krüger: Was gibt es denn im Moment aktuell Wichtigeres in Deutschland als die Demokratie und ihre Wahrung? Dass es gelingt, den Menschen ein Empfinden dafür zu geben, dass es sich lohnt, Dinge gemeinsam zu machen, dass ein Staat ein Gemeinwesen ist und eine Gemeinschaft, die nicht im Auseinanderdriften einzelner Teile bestehen und sich erfüllen kann? Musik bietet viele Ansätze!

Martin Maria Krüger. Foto: Finn Loew
nmz: Herr Krüger, wie kann es für den Deutschen Musikrat weitergehen?
Krüger: Wir haben uns in den letzten Jahren sehr intensiv mit dem Thema Nachfolge auseinandergesetzt. Wir haben eine hervorragend aufgestellte GmbH unter Stefan Piendl, wir haben ein sehr engagiertes Generalsekretariat unter Antje Valentin. Und im Präsidium gibt es ja viele erfahrene und zugleich jüngere Leute, die Verantwortung übernehmen können. Der Deutsche Musikrat ist so stabil aufgestellt wie nie zuvor. Es war mir immer wichtig, selbst im richtigen Moment loszulassen. Der ist nun, mit mindestens einer hervorragenden Kandidatin, gegeben.
nmz: Wenn Sie auf diese lange Zeit zurückblicken – was bleibt am meisten?
Krüger: Was bleibt, ist zunächst einmal große Dankbarkeit dafür, dass ich diese Zeit miterleben durfte. Dankbarkeit für die vielen Menschen, die ich kennenlernen durfte – aus der Politik, aus der Kultur, aus der Zivilgesellschaft. Dankbarkeit für die Erfahrungen in Deutschland und in so vielen anderen Ländern. Was bleibt, ist auch das Gefühl, dass es gelungen ist, den Deutschen Musikrat in eine stabile Position zu bringen, ihn weiterzuentwickeln und ihn als wichtige Stimme im kulturellen, aber auch im gesellschaftspolitischen Diskurs zu etablieren.
nmz: Gab es auch schwierige Momente, in denen Sie ans Aufhören dachten?
Krüger: Natürlich gab es schwierige Momente – wer so lange in einer solchen Funktion tätig ist, kennt Krisen, Konflikte, Rückschläge und macht auch Fehler. Aber es war immer auch die Überzeugung da, dass es sich lohnt weiterzumachen. Dass es wichtig ist, für die Musik, für die Künstlerinnen und Künstler, für die Gesellschaft einzutreten. Und das hat mich getragen.
nmz: Wenn Sie nun in den Ruhestand gehen – was wünschen Sie sich für die Zukunft des Deutschen Musikrats?
Krüger: Ich wünsche mir, dass der Deutsche Musikrat weiterhin diese Doppelrolle erfüllt: einerseits die Projekte auf höchstem Niveau zu tragen, andererseits politisch und gesellschaftlich Stimme zu sein – für die Musik, aber auch für das, was Musik für unser Zusammenleben bedeutet. Ich wünsche mir, dass der Musikrat weiterhin offen bleibt für Neues, dass er die Vielfalt der Musik abbildet und dass er sich immer wieder auch kritisch mit sich selbst auseinandersetzt. Und ich wünsche mir, dass die Begeisterung für die Musik, die mich mein Leben lang begleitet hat, auch in den kommenden Generationen lebendig bleibt.
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