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Titelseite der nmz 2025/02

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Kommunizierendes Röhren

Untertitel
Zum gegenwärtigen Missverhältnis von Kultur, Gesellschaft und Politik · Von Rainer Nonnenmann
Vorspann / Teaser

Die gegenwärtige Sparwut gefährdet die Arbeit von Kultureinrichtungen und tausenden Kulturschaffenden. Die abnehmende Bereitschaft der öffentlichen Hand, Geld für Kunst und Kultur auszugeben, ist für viele Häuser, Ensembles und Soloselbständige existenzbedrohend. Doch die akute Situation ist nur ein Symptom dafür, dass Kunst und Kultur schon seit Jahren chronisch an Rückhalt in Politik und Gesellschaft verlieren. 

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Die aktuelle Krise ist Ergebnis gravierender Langzeitprobleme: flächendeckende Erosion der kulturellen Bildung; zu wenig sachkundige Kulturberichterstattung; ein zum Lifestyle zerdehnter Kulturbegriff; Fusionierung und Streichung von Kulturredaktionen der ARD; allgemein veränderte Interessen, neues Medienverhalten, verringerte Aufmerksamkeitsspannen; wachsende Intoleranz gegenüber Vieldeutigkeiten; zunehmendes Bedürfnis nach klaren Botschaften und Identitäten; neobiedermeierlicher Rückzug in häusliche oder spirituelle Innerlichkeit angesichts globaler Kriege und Krisen.

Wie den Kultursenator von Berlin brachten demokratisch gewählte Mehrheiten auch andernorts Menschen in Ämter für Kunst und Kultur, die in ihrer bisherigen Karriere kaum Berührung mit Musik, Oper, Theater, Tanz hatten und folglich wenig Verständnis dafür aufbringen. Wie will man Kultur vertreten, wenn man sie überhaupt nicht kennt? Schließlich muss man selbst erlebt haben, wie Kunst zur Identitätsbildung beiträgt, wie sich ästhetische Erfahrung anfühlt, was sie im Bewusstsein von Menschen und Gruppen auslöst, wie sie Einfühlung und Denken fördert, überkommene Kategorien und Normen verflüssigt, Widerstände weckt und überwindet, Horizonte weitet, Perspektivwechsel provoziert… Statt Kultur zu verteidigen, agieren manche Entscheider als Vollstreckungsbeamte, die Sparauflagen gehorsam umsetzen, statt mit den betroffenen Kulturschaffenden das Gespräch zu suchen. Waren diese Administratoren einst Verbündete der Kultur, sind sie heute immer öfter Gegner.

Eine Gesellschaft beweist beispielhaft in Kunst und Kultur, wie sie Freiheit, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Vielfalt, Regionalität, Weltoffenheit, Reflexions- und Veränderungsbereitschaft praktisch in Institutionen und Produktionen umzusetzen vermag oder eben auch nicht. Kunst und Kultur sind keine abgeschotteten Safe Spaces, sondern auch Wirtschafts- und Handelsgüter, die sich rechnen müssen und für Gastronomie, Tourismus und als Standortfaktor gewinnbringend sind. Aber ihr primäres Ziel liegt nicht in finanziellem Profit. Stattdessen reagieren sie nach eigener Logik wie Seismographen auf aktuelle Entwicklungen, Hoffnungen, Ängste und Verwerfungen, und zwar wahlweise ebenso sympathetisch oder affirmativ bekräftigend wie gegenläufig, kritisch, subversiv oder utopisch. Kunst und Gemeinwesen sind keine kommunizierenden Röhren, bei denen beide Seiten immer den gleichen Grad an Aggressivität oder Resilienz, Intoleranz oder Liberalität aufweisen. Manchmal zeugt gerade friedfertige Kunst von kriegerischen Zeiten oder sorgen aggressive Töne für Unruhe in lähmender Stille.

In den letzten Jahren häuften sich Boykotte, Cancel Culture, staatliche Regulierungen und radikale Bewegungen wie „Die letzte Generation“, die sich anmaßen, ihre verabsolutierten Agenden selbst über Recht und Gesetz zu stellen. Autoritäre Eiferer in Gesellschaft und Politik – links wie rechts – nehmen Kunst in den Dienst, um ihre Moralismen, Migrations-, Klima-, Gender- und Sprachdoktrinen zu befördern oder gesellschaftliche Konflikte zu bemänteln. Dazu gehören auch billige Politphrasen: „Kunst und Kultur sind der soziale Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.“ Sie sind „Räume des Widerstands und der Transformation“ und wichtig, weil sie „die Demokratie stärken“ und „Machtstrukturen infrage stellen“. Da ist viel Wunschdenken im Spiel und auch die Angst, linksliberale Gesinnung werde jetzt vom massiven Rechtsruck er­drückt. Schließlich gefällt Kultur ebenso Demokraten wie Autokraten und kann Kultur sowohl die Bindekräfte eines Gemeinwesens stärken als auch Fliehkräfte forcieren. In den USA entsendet demnächst der neu-alte Präsident Trump die patriotischen Filmhelden Mel Gibson und Sylvester Stallone, „to make Hollywood great again“. Und wie die nationalistische Fidesz in Ungarn, die rechtsextreme Kanzlerpartei FPÖ in Österreich und die neoosmanische AKP in der Türkei versucht demnächst die AfD in Deutschland einen völkischen Kulturbegriff durchzusetzen. Kunst und Kultur reagieren auf den steigenden Rechtfertigungsdruck immer häufiger damit, dass sie sich durch die Auseinandersetzung mit Querschnittsthemen wie Rassismus, Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Inklusion und Diversität zu behaupten versuchen. Häufig geht es auch um Geschlecht, Sexualität, Herkunft oder Hautpigmentierung, die als Diskriminierungsfaktoren die Mehrheitsgesellschaft freilich ebenso betreffen wie die Minderheiten. Doch damit richtet man sich zuweilen zu sehr an die eigene Klientel und Bubble, statt den Diskurs mit Andersdenkenden zu suchen. Zu kurz kommen andere drängende Probleme wie Antisemitismus, Antiislamismus, Frauenfeindlichkeit, Wohnungsnot, Teuerung, Kinderarmut, Fake News, Meinungsmanipulation et cetera. Statt kunstferne Legitimierungsversuche zu übernehmen und vollmundige Wirkungsansprüche zu proklamieren, muss Kunst ihre Freiheit gegenüber politischen Einflussnahmen von links wie rechts behaupten. Da gibt es noch viel zu tun – vor und auch nach der Bundestagswahl. 

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