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Ein prekäres Problemfeld

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Musikalische Bildung in Nordrhein-Westfalen
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Fast möchte man meinen, auch im bevölkerungsreichsten Bundesland ginge es mit der musikalischen Bildung weiterhin mächtig voran und niemand müsse sich über die musikalische Zukunft der Kinder und Jugendlichen ernsthaft Sorgen machen. Angesichts der bevorstehenden Landtagswahl verweist die Landesregierung NRW gerne voller Stolz auf ihre vielfältigen Programme zur Förderung der Musik, die über das traditionelle Angebot der kommunalen Musikschulen hinaus auch die allgemein bildenden Schulen einbeziehen und damit potenziell alle Kinder ansprechen sollen – wie zum Beispiel bei JeKits (Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen) oder bei „Kultur und Schule“.

Natürlich sind diese Programme und Initiativen zu begrüßen, und zwar umso mehr, als sie neben den öffentlichen Bildungsträgern auch zahlreiche freiberufliche und zivilgesellschaftliche Kooperationspartner einbeziehen. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob diese bunte Projektlandschaft nicht doch darüber hinwegtäuscht, dass sich gerade im Bereich der musikalischen Grundversorgung immer deutlicher auch die prekären Schattenseiten dieser Entwicklung abzeichnen. Zugespitzt gesagt: Je mehr Kinder und Jugendliche musikalisch gebildet und gefördert werden, umso mehr geschieht dies auf Kosten der Kolleginnen und Kollegen, die solche Angebote durch ihre immer schlechter bezahlte musikpädagogische Knochenarbeit sicherstellen.

Die Ergebnisse der Umfrage, die der DTKV NRW Anfang 2017 unter seinen Mitgliedern durchgeführt hat, zeigen, dass im DTKV die beiden Gruppen der Selbstständigen und derjenigen, die an kommunalen Musikschulen beschäftigt sind, fast gleich groß sind (je ein Drittel), wobei den Kommentaren der Selbstständigen jedoch zu entnehmen ist, dass diese Form größtenteils bewusst gewählt ist, zum Teil aber auch wegen der schlechten Bezahlung an kommunalen Musikschulen.

Im Umfrageergebnis (N=372 von 1.100 Mitgliedern in NRW) spiegeln sich so die beiden Säulen der musikalischen Bildung wider, für die der DTKV immer gestanden hat, denn eine flächendeckende musikalische Bildung ist weder ohne kommunale Musikschulen noch ohne die vielen freiberuflich arbeitenden Instrumental- und Gesangspädagogen zu denken und sicherzustellen.

Doch wie sieht die Beschäftigung an der Musikschule aus? Auch danach wurde gefragt.

Von den an einer kommunalen Musikschule Beschäftigten haben nur noch 50 Prozent einen unbefristeten Vertrag – also das, was bis in die 1980er-Jahre durchaus der beschäftigungspolitische „Normalfall“ war. Dazu kommen 8 Prozent mit befristeten Verträgen. Die restlichen 42 Prozent der Kolleginnen und Kollegen dagegen sind nur noch über Honorarverträge beschäftigt (davon wiederum genau ein Drittel an mehr als einer Schule), die in der Regel für ein paar Stunden pro Schulhalbjahr gelten, wobei stets unsicher ist, ob sie im nächsten Schulhalbjahr überhaupt wieder gewährt werden.

Wohlgemerkt: Es handelt sich um qualifizierte Lehrkräfte, die über einen musikalischen beziehungsweise musikpädagogischen Hochschulabschluss verfügen mit einer Ausbildung, die lange vor dem eigentlichen Musikstudium beginnt. Das schafft sowohl für die Betroffenen als auch die Institution Musikschule eine unerträgliche Situation. Ergänzend kann man sagen, dass nach Aussagen des LVdM der Anteil der Lehrkräfte mit Honorarvertrag im Schnitt sogar bei 48 Prozent liegt, mit TVöD-Verträgen bei 47 Prozent. Die Höhe des Honorars schwankt zwischen 18 und 25 – nur 7 Prozent erhalten 30 Euro pro Unterrichtsstunde. Bei privaten Musikschulen liegt der Anteil der Kollegen mit einem Honorarvertrag noch viel höher, nämlich bei 81 Prozent.

Man sollte nun annehmen, da die kommunalen Musikschulen Arbeitgeber im öffentlichen Dienst sind, dass sie in Bezug auf Arbeitsbedingungen und -recht eine gewisse Vorbildfunktion einnehmen und die Honorare eine angemessene Existenzgrundlage sichern. Weit gefehlt! Schon 2008 hatte die erste Ver.di-Umfrage, die ein durchschnittliches Honorar von 14.500 Euro pro Jahr feststellt, zu einem Aufschrei der Kulturhüter von Musikrat über Kulturrat, Rat für kulturelle Bildung bis Städtetag geführt. Resultat war, dass die Kulturprogramme ausgebaut wurden. Aber im Ergebnis sank das durchschnittliche Einkommen der Musiker bis 2012 auf 12.400 Euro pro Jahr (2. Ver.di-Umfrage). Aktuell kommt eine Studie der Hans Böckler Stiftung (2016) auf einen Wert von 12.900 Euro pro Jahr 2016. Ist das ein Hoffnungsschimmer?

Was folgt daraus? Beide Säulen der musikalischen Bildung – kommunale Musikschulen und freiberufliche Musikpädagogen – brauchen eine breitere finanzielle Basis, und hier ist das Land gefordert. Derzeit wird die erste Säule (öffentliche Musikschulen) in NRW nur zu 4 Prozent vom Land finanziert (die Kommunen tragen 81 Prozent), in Bayern und Baden-Württemberg dagegen zu 19 Prozent, im Bundesdurchschnitt zu 14 Prozent (Daten des VdM, Spartenbericht Musik des Statist. Bundesamtes, 14.02.2017). Die zweite Säule (freiberufliche Musikpädagogen) erhält in NRW keinerlei Landesmittel. Sie wird weitgehend von den Schülereltern selbst finanziert – trägt aber ein Drittel der „Jugend musiziert“-Bundespreisträger bei.

Man darf also gespannt sein, was man seitens der Landesregierung NRW (bzw. der sie tragenden Parteien) hierzu im Wahlkampf zu hören bekommt. Noch spannender ist die Frage, ob die künftige Landesregierung sich dieser Aufgabe endlich stellen wird. Oder sollte sie am Ende von den Gerichten dazu angehalten werden? Jedenfalls deutet der Fall Ahausen, der gegenwärtig für Aufsehen sorgt (siehe nmz 3/17), in diese Richtung. Kurz zur Erinnerung: Das Landessozialgericht hat die Stadt Ahaus dazu verpflichtet, einen jahrelang nur als Honorarkraft beschäftigten Instrumentalpädagogen als reguläre Lehrkraft an der kommunalen Musikschule einzustellen. Zwar ist die Rechtslage weiterhin unklar, weil Arbeitsgerichte in solchen Fällen auch anders entschieden und „Honorarkettenverträge“ für weniger anstößig befunden haben. Doch genau diese Unsicherheit verdeutlicht die Misere. Honorarkräfte sind prekäre Zwitterwesen – weder selbständige Freiberufler noch angestellte Mitarbeiter. Könnte es sein, dass man diese eigenartige Spezies genau deshalb gezüchtet hat, um sich zwischen den beiden Säulen der musikalischen Grundversorgung möglichst billig durchzumogeln? Alle Akteure sind aufgerufen, sich diesem Dilemma zu stellen und endlich neue, tragfähige, nachhaltige und sozial angemessene Lösungen zu entwickeln.

Die Zukunftswerkstatt in Münster wird in Kürze eine Podiumsdiskussion zum Thema „Zukunft der musikalischen Bildung“ mit Vertretern von DTKV NRW, LVdM, Ver.di und Politikern veranstalten (genauer Termin auf der Homepage des DTKV NRW).

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