„Akademisch“ ist nicht immer ein positives Wort, vor allem, wenn es auf zeitgenössische Musik angewendet wird. Gerne werden damit negative Assoziationen verbunden: akademische Musik ist „steif“, „selbstreferentiell“, „altbacken“, „dogmatisch“ und so weiter.

Moritz Eggert.
Carceres Academici
Wir lieben die Grenzgänger und Rebellen gegen das akademische System, und vielleicht übersehen wir dabei manchmal auch, dass es sehr wohl akademische Karrieren gibt, die funktionieren. Hinzu kommt, dass Universitäten generell immer mehr bedroht sind im anwachsenden Sturm der politischen Agenden. Es ist nicht im Sinne der Populisten, dass Menschen sich bilden, und so beäugen sie misstrauisch Universitäten als Orte des Widerstands, die es nach Möglichkeit zu kontrollieren oder auszuschalten gilt. Umgekehrt wächst auch an freien Universitäten die Angst davor, das „Falsche“ oder politisch Unkorrekte zu sagen, was wiederum ihrer eigentlichen Stärke, der Freiheit der Lehre, zuwiderläuft.
Dennoch – wenn ich als junge klassische Komponistin an einen Ort will, an dem ich mit jungen Musikerinnen und Musikern zusammenkomme, die mir Feedback für meine Kompositionen geben können, diese aufführen und von denen ich lernen kann, dann geht kein Weg um eine Musikhochschule oder ein Konservatorium herum. Für viele ist ein solcher Ort die größte Hoffnung, vor allem, wenn sie aus Ländern kommen, in denen es diese Art von Ausbildung überhaupt nicht gibt.
Ein solches Beispiel ist die junge iranische Komponistin Golnaz Shariatzadeh, Schülerin etwa von Chaya Czernowin in Harvard, USA. Wir hatten Golnaz als eine der vier Nominierten für den Gaudeamus-Preis 2025 ausgewählt, einem wichtigen internationalen Wettbewerb für junge Komponierende in den Niederlanden.
Mit dieser Nominierung einher gingen mehrere hochkarätige Aufführungen (darunter auch ein Kompositionsauftrag und eine Uraufführung), die Nominierten verbrachten eine Woche mit Proben zusammen mit fantastischen Ensembles und bekamen eine große Öffentlichkeit, es stellte also eine wichtige Karrierechance für sie dar.
Golnaz hat solche Möglichkeiten in ihrem Land nicht zur Verfügung, was einer der Gründe ist, warum sie es verlassen hat. In ihren Werken thematisiert sie die schwierige politische Situation im Iran, sie hat daher wenig Chancen, wieder dahin zurückkehren zu können, da sie schlimmste Repressalien erwarten muss. Sicher hatte sie daher berechtigte Hoffnungen auf die akademische Freiheit in den USA.
Doch in diesen Zeiten erwies sich diese Hoffnung als trügerisch, was keineswegs an der Uni, sondern am politischen Umschwung in ihrem neuen Heimatland liegt. Dort war sie mit ihrem iranischen Pass erst willkommen, nun ist es aber so, dass sie bei einer Ausreise befürchten muss, nicht wieder in die USA einreisen zu können. Was wiederum bedeuten würde, dass sie alles, was sie dort aufgebaut hat, wieder verlöre.
Mir brach es das Herz, dass diese hoffnungsvolle junge Komponistin nun verhindert war am Festival teilzunehmen und auf wichtige Chancen verzichten musste. Sie hat einen Kerker verlassen, nur um sich unverhofft in einem anderen wiederzufinden. Und nein, dass dieser Kerker auch ein akademischer ist, wenn auch nur zufällig, macht es leider keinen Deut besser.
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