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Drangeblieben

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Der Büffel und der Boss

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Drangeblieben 2025/09
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Selbstverständlich weht an diesem 18. Juni 2025 im ehemaligen Frankfurter Waldstadion ein federartiger Hauch von Patina über der E-Street Band und ihrem Vorsänger Bruce Springsteen. So wie eben Vinyl-Platten leichte Kratzer bekommen, die das Hörerlebnis subtil, aber doch spürbar verändern.

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Die Band macht, was sie immer tat: Bruce Springsteen zur Seite stehen. Der mit 75 Jahren zwar drei Stunden ohne Pause oder einen Schluck Wasser malocht, jedoch hier und da stimmlich wackelt. Aber es sind exakt diese Wackler, die jeden Song außergewöhnlich machen. Eine stimmliche Brüchigkeit, die echt ist und spätestens bei „Long Walk Home“ wird deutlich: Dieser Mann ringt nicht mit seiner Stimme, er kämpft gegen Wut, Trauer, Ungerechtigkeit, Schmerz und vielleicht sogar mit Tränen.

Dieser Song verlangt ihm alles ab, denn sein Nachhausekommen vergällte ihm sein eigener Präsident mit Drohungen und Beleidigungen. Jeder im Stadion weiß natürlich, dass diese 2025er-Tour eine neue politische Schärfe in sich trägt. Es ist der elefantöse Schatten, der über jeder Arena der Tournee schwebt. Der Name, der nicht ausgesprochen werden muss, aber in jeder kritischen Textzeile, jedem nachdenklichen Blick, jedem bedeutungsschweren Zwischenruf mitschwingt: Donald Trump.

Wie in Manchester oder Berlin spricht Springsteen in Frankfurt von seinem Amerika, das er liebe, das er immer wieder in seinen Texten thematisiere und das 250 Jahre lang ein Leuchtturm der Hoffnung und der Freiheit gewesen sei und dass sich dieses Land nun in den Händen einer korrupten, inkompetenten und verlogenen Regierung befinde. Seine Attacken liest Springsteen vom Teleprompter, gleichzeitig wird den deutschen Fans eine Übersetzung auf der Videoleinwand eingeblendet. Inwiefern diese hölzerne Darbietung seiner Botschaft Spontaneität einschränkt oder bremst, lässt sich freilich schwer messen.

Überraschend ist der politische Diskurs Springsteens freilich nicht. Er hat nie einen Hehl aus seiner tiefen Abneigung gegen den Mann mit der orangen Tönung gemacht. Und so nutzt Springsteen seine Bühne nicht nur als Ort der musikalischen Erweckung, sondern vielmehr als politische Kanzel und wettert frei übersetzt von der „systematischen Zerstörung demokratischer Institutionen“, von der „sadistischen Freude am Leid der arbeitenden Bevölkerung“ und dem „skrupellosen Versuch, historisch erkämpfte Bürgerrechte zu demontieren“. Worte, die in einem Europa, das ebenfalls mit dem Gespenst des Populismus ringt, auf fruchtbaren Boden fallen.

Jeder Applaus nach einer dieser brandrednerischen Ansagen ist eine Zustimmung und: eine Bestätigung der eigenen moralischen Integrität. Warum ihn all das, neben seinen großartigen Songs, zum größten Musiker aller Zeiten macht? Weil er vorangeht. Erst nachdem Trump mit der Präzision eines Fleischerhakens über seine bevorzugten digitalen Kanäle Springsteen als „untalentierter Typen, als vertrocknete Backpflaume, als aufdringlichen und unausstehlicher Idioten“ beleidigte und ihm androhte, „den Mund zu halten, bis er wieder im Lande ist, denn dann werden wir alle sehen, wie es ihm ergeht“, erst dann folgten zaghafte und bedachte Unterstützerbekenntnisse seiner teils amerikanischen Musikerkollegen wie Pearl Jam, Bono, Neil Young oder Tom Morello (Rage against the Machine).

Aber wie hoch darf man das Politische hängen? Ist die Eintrittskarte gleich ein politisches Bekenntnis, ist das Tour-Shirt (ab 50 Euro) das Demonstrationsplakat der Generation X? Und sollte nicht die Musik an diesem Abend im Mittelpunkt stehen? Tut sie auch, und wer je Zweifel hatte, ob Springsteen der Größte sei, der möge sich den Zugaben-Teil mit Born in the U.S.A., Born to Run, Bobby Jean, Dancing in the Dark und Tenth Avenue Freeze-Out vor Augen halten. Wer kann das schon überbieten? Seine Fans, auch die U16, wissen das jedenfalls. Und folgen ihm, dem Menschenfänger, mit jedem Wort, in jeder Zeile. In nahezu kollektiver Trance, im Gefühl des Einsseins, das Springsteen über Jahrzehnte perfektioniert hat. In seinen Songs von Malochern, Abgehängten und Träumern, die am Rande der Gesellschaft um ihr kleines Stückchen Glück ringen.

Da steht er also in Frankfurt auf der Bühne. Der trotz Reichtums unangefochtene Working-Class-Hero mit seinen Texten zwischen lyrischer Schwermut und naivem Optimismus. Und trifft einen Nerv in Zeiten, die von multiplen Krisen und einer kollektiven neurotischen Anspannung geprägt sind. Nein, kein anderer Künstler kann dieses Spektrum für sich in Anspruch nehmen. Und so sollte man sich respektvoll vor Bruce Springsteen verneigen, sich glücklich schätzen, ihn erlebt zu haben und sich Bonos mehrdeutige Worte auf der Zunge zergehen lassen: „There’s only one Boss in America“.

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