Es war vor wenigen Monaten nur eine Meldung, dass es im Aufsichtsrat der GEMA einen Personalwechsel gab. Charlotte Seither hat den Aufsichtsrat verlassen, an ihre Stelle trat Michelle Leonard. Charlotte Seither hat nach eigenem Bekunden, „die Interessen der GEMA Community und der zeitgenössischen Musik neun Jahre lang im Aufsichtsrat (…) vertreten“. Mit ihrem Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat ist die letzte Vertreterin dieser Sparte der zeitgenössischen Kunstmusik verschwunden.

Gema-Umbau. Foto: Hufner
Die GEMA wird umgebaut
Zugleich ist es ein Indiz dafür, dass innerhalb der GEMA-Führung und strategischen Ausrichtung ein Umbau vollzogen wird, der die Frage aufwirft, ob die GEMA dann überhaupt noch ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen kann. § 22 Absatz 2 des Verwertungsgesellschaftengesetzes (VGG) für die Aufsichtsgremien schreibt vor: „In dem Aufsichtsgremium müssen die verschiedenen Kategorien von Mitgliedern fair und ausgewogen vertreten sein.“ Diese Entwicklung passt sehr gut zum Versuch, über Aufsichtsrat und Vorstand eine Kulturreform zu betreiben mit dem Ziel, die Kategorien von E- und U-Musik aufzulösen.
Die Pluralität der Meinungen und Perspektiven in der GEMA-Führung ist aber auch durch andere Entwicklungen bedroht. Seit 2022 hat der Aufsichtsrat der GEMA sich einen Verhaltenskodex zugelegt. Einen konkreten Anlass dazu gab es angeblich nicht. Eine Sprecherin der GEMA erklärt die Ausarbeitung so, dass der Aufsichtsrat mit seiner Einführung „proaktiv eine neuere Entwicklung der Corporate Governance- und Compliance-Praxis aufgegriffen und sich dabei an der Übung anderer Unternehmen und Schwestergesellschaften orientiert“ habe. In der Tat beinhaltet dieser Verhaltenskodex weitgehende Informationspflichten der Mitglieder des Aufsichtsrates, etwaige Interessenkonflikte offenzulegen. Diese werden allerdings nur im nötigen Rahmen der Offenlegungspflichten, die sich aus dem Verwertungsgesellschaftsgesetz ergeben, der Mitgliederversammlung mitgeteilt. Anders als beim Lobbyregister und der Dokumentation von Nebeneinkünften wie bei Mitgliedern des Bundestages beispielsweise, wird dies zwar dokumentiert, aber die „Dokumentation dient ausschließlich internen Zwecken des Aufsichtsrats und ist auch aus Datenschutzgründen für Dritte nicht einsehbar“, wie die Sprecherin der GEMA auf Anfrage verlauten lässt.
Hochproblematisch sind aber auch die weitergehenden Loyalitätspflichten des Kodex’. In § 9 Absatz 2 steht: „Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind verpflichtet, die von der GEMA und ihren Gremien gefassten Beschlüsse nach außen loyal zu vertreten. Sie sind verpflichtet, gefasste Beschlüsse nicht zu konterkarieren und deren Umsetzung nicht zu stören oder zu behindern. Das gilt auch für nicht einstimmig gefasste Beschlüsse.“ Es handelt sich damit um eine Art Meinungspflicht, die selbst bei strittigen Fragen greift und gewissermaßen aus einfachen Mehrheiten, absolute Mehrheiten macht, die man im Zweifel auch gegen besseres Wissen „loyal vertreten“ müsse. Eine Sprecherin der GEMA betont, dass damit persönliche Stellungnahmen nicht verboten seien und durch „die Verschwiegenheits- und Treuepflichten die Meinungsfreiheit“ im Sinne des Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland nur „in zulässiger Weise“ einschränkt werde. Spätestens diese Rechtsvorstellung macht einen stutzig. Warum wird mit diesem scharfen Schwert der Meinungspflicht gearbeitet, statt eine auch sonst in demokratischen Organisationen übliche Pluralität abzubilden und statt Alternativlosigkeiten, den Streit der Argumente sowie wirkliche Aufsichts- und Kontrollpflicht zu ermöglichen?
Dass genau dieser Kodex im Vorfeld der im letzten Jahr geplanten und noch gescheiterten GEMA-Kulturreform verabschiedet wurde, mag einen da vielleicht nicht mehr erstaunen. Ein weiteres Indiz könnte sein, dass die zuvor vom Aufsichtsrat geübte Praxis, über seine Tätigkeit zu berichten, gerade in dem Moment beendet wurde, wo es um die Ausarbeitung der GEMA-Kulturreform ging. Zwar gäbe es für „die Berichterstattung des Aufsichtsrats (…) weder eine gesetzliche Frist noch eine rechtliche Verpflichtung. (…) Darüber hinaus wird das Instrument ‚Bericht über die Tätigkeit des Aufsichtsrates‘ anlassbezogen eingesetzt“, erklärt die Sprecherin der GEMA auf Anfrage. Für die umfang- und folgenreiche Kulturreform gilt diesjedoch offenbar nicht.
Nach erweckt dies den Anschein, dass die offene, transparente und aufgeklärte Reform der GEMA gar nicht wirklich gewünscht wird, sondern nur eine, die der Aufsichtsrat im Zusammenspiel mit dem Vorstand, den der Aufsichtsrat ja beruft, wünscht. Dafür aber braucht es qualitative Zweidrittel-Mehrheiten bei der Mitgliederversammlung, die außer bei den Textdichter:innen in diesem Jahr verfehlt wurden. Die stimmberechtigten Mitglieder tun gut daran, genau hinzusehen, wer bei den Aufsichtsratswahlen im kommenden Jahr die Interessen des Vereins (und nicht eben etwa spezielle Eigeninteressen) vertreten soll. Gegenüber dem aktuellen Aufsichtsrat und dem Vorstand der GEMA gilt es besonders auf Transparenz ihrer gesamten Tätigkeiten und Beziehungen zu achten. Denn käme es zum Vorschlag, 2026 ein Prevoting einzuführen, würde man vorab ein Meinungsbild zu Anträgen erhalten, deren eigentliches Ziel es wäre, gegebenenfalls weitere Stimmen für die eigenen Anträge zu mobilisieren.
Im Fall der Loyalitätsverpflichtung wären aber auch die Aufsichtsbehörden wie das Deutsche Marken- und Patentamt und die Berliner Senatsverwaltung für Justiz gefordert, diese auf Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen.
Man kann nur wünschen, dass die GEMA wieder zur Besinnung kommt, am besten durch sachlich und fachlich engagierte Mitglieder.
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