Endlich wieder barfuß im Matsch tanzen, während man versucht, sein überteuertes Craft-Beer nicht auf die 139-Euro-Regenjacke zu kleckern. Die Musik? Nebensache. Hauptsache, die 289-Euro-Festival-Experience ist auf Instagram teilbar. Früher hieß das Ganze mal „Kultur“, heute nennt man es „Lifestyle-Modul mit integriertem Selbstausdruck und Markenbindung“. Herrlich.

Sven Ferchow. Selfie
Festivalsommer – teurer Lärm für freie Seelen
Ich habe Fragen: Man zahlt inzwischen gern dreistellige Beträge für das Privileg, sich zwischen Dixie-Klo und Dosenbier romantisch zu fühlen. Die Karten? Innerhalb von Minuten ausverkauft – weil der Algorithmus das so will. Die Warteschlange ist die neue Pilgerfahrt. Es ist schließlich ein Akt der Erleuchtung, gemeinsam mit 60.000 anderen Individualisten zu singen, wie besonders man ist. Ach, was haben wir geweint, als der Headliner nicht kam – und der vegane Döner achtzehn Euro kostete. Ein Festival ist halt auch ein Ort des Scheiterns. Emotional, ökologisch und finanziell. Es fängt harmlos an: „Early-Bird-Tickets“ für 119 Euro. Klingt günstig, ist aber ohne Müllpfand, Parkticket, Zeltplatzgebühr, Ökoausgleich, CO₂-Abgabe, Stromflatrate und WLAN-Bändchen. Und wehe, du willst duschen – da werden fünf Minuten warmes Wasser zum Wellnessluxus, bezahlt via App, versteht sich. Natürlich gibt es auch einen „Silent-Stage“-Bereich mit therapeutischer Klangschale – für 39,90 extra.
Die gute Nachricht: Man muss gar keine Musik mögen, um Festivalfan zu sein. Es reicht, dabei gewesen zu sein. Man kann auch einfach zwölf Stunden vorm Spiegelzelt stehen, in dem eine Nachwuchsband aus Kopenhagen versucht, gleichzeitig Gitarre zu spielen und ihre Identitätskrise zu verarbeiten. Der Applaus kommt trotzdem. Hauptsache, es klingt nach Kulturförderung.
Und das Publikum? Früher war das mal eine bunte Mischung aus Hippies, Punks, Nerds und Menschen mit Gitarre. Heute: modisch auffällig, finanziell belastbar, ideologisch entrümpelt. Zwischen dem klimaneutralen Festivalbecher und der Purpose-Wasserflasche hat sich eine neue Spezies entwickelt: der nachhaltige Hedonist. Seine Mission: Spaß haben, ohne das Gewissen zu belasten. Deshalb trägt er die Festival-Edition des Bio-Deos, tanzt zu Techno gegen das Patriarchat und kauft ein 12-Euro-Kokoswasser gegen Kapitalismus.
Natürlich gibt es Workshops. Achtsamkeit beim Circle-Pit, Tarotkartenlesen mit Drag Queens, und nicht zu vergessen: der „Kritische Konsumparcours“, gesponsert von einem Softdrink-Hersteller, der das Wort „kritisch“ ganz neu denkt. Alles Teil der „Festivalphilosophie“. Die lautet: Sei du selbst, aber bezahl dafür. In Raten, wenn nötig.
Musik als Gemeinschaftserlebnis? Ach was. Es geht um Experience, Baby. Um Selfies im Sonnenuntergang, das richtige Brand-Collab-Tattoo und die geflochtenen Haare, die fünfzig Euro kosten, weil sie von einer autodidaktischen Schamanin mit einem eigenen Podcast gemacht wurden.
Früher haben wir auf Festivals rebelliert. Heute leisten wir uns das Gefühl von Rebellion zum All-Inclusive-Preis. Ein bisschen Dreck fürs Karma, ein bisschen Lautstärke fürs Ego, ein bisschen Kunst für die Bio. Die Freiheit? Gibt’s am Merch-Stand. Im Bundle. Nur dieses Wochenende.
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