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Sven Ferchow. Selfie

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Zwischen Autotune und Autokratie

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Ferchows Fenstersturz 2025/07
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Nun, Sie werden entschuldigen. Zwischenzeitlich bin ich in einem Alter, in dem man musikalische Events verdauen muss. Früher unter Zuhilfenahme zugelassener Giftstoffe, heute im Geist der Empörung. Deswegen jetzt erst eine Rückschau auf den ESC 2025 in Basel. Stoßseufzer: „Akkurat Basel“, die kulturelle Halbmast-Fahne der Schweiz, dieses Zürich auf Valium. Ein Austragungsort als Konsequenz eines Europas, das sich musikalisch und politisch in der Schwebe befindet. Zwischen Autotune und Autokratie. Wo sonst passte dieser mit Pyrotechnik und Pathos aufgepumpte Zirkus der Selbstverliebtheit besser hin als nach Basel? Wo laut Augenzeugen sogar der Bahnhof mit pinken Bannern geschmückt wurde, auf denen anbiedernd zu lesen war: „Love, Unity and Glitter“. Geht gut als Motto beim nächsten Drag-Contest im Seniorenheim durch. Dann die Show.

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Allein die Eröffnungssequenz pulverisierte den in Europa während Corona eingesparten CO2- und Stromverbrauch in wenigen Sekunden. Eine Licht- und Lasershow, die sämtliche Kernkraftwerke der Schweiz Richtung Sollbruchstelle trieb. Flankiert von drei Moderatorinnen: Michelle Hunziker (zu viel am o.g. Glitter geschnüffelt), Hazel Brugger (Hazel Brugger?) und Sandra Studer (wussten wir, wer sie war, und wusste sie, wo sie war?). Dass sich ausgerechnet die Schweiz das traut? Über Michelle Hunziker erübrigt sich nebenbei jedes Wort. Gerne hätte ich eines dieser Künstlerkostüme, das an eine im Meth-Labor explodierte Discokugel erinnert, über sie gestülpt. Damit sie verschwindet.

Dass uns die drei dann noch mit Kalendersprüchen scheinheilig einträufeln wollten, dass Musik verbindet, während man sich später im nationalistischen Kleinkrieg um Punkte fetzt: gestattet. Das kollektive Imponiergeschwafel erscheint sowieso sinnlos, wenn es Beiträge gibt, die niemand versteht, weil der Song in einer Kunstsprache zwischen Elbisch und Bauchbrummen dargeboten wird. Und weil stimmlich und englischsprachlich (bitte künftige Teilnehmer vorher auf Malta-Sprachreise schicken) wenig geht, werden allerhand Nebelkerzen gezündet. Opulente Bühnenoptik, exzessiver Einsatz der Nebelmaschine, permanente Autotune-Tiefenbohrer, die den letzten Tropfen Emotion wegfräsen sowie ranzige Requisiten mit halbnackten Tänzerinnen und ein rührseliges Fontänen-Feeling aus Rotz und Wasser. Dass am Ende der österreichische Countertenor „JJ“ gewinnt – wen wundert‘s? Was ist dem jungen Mann denn zugestoßen, dass er so hoch singen muss? Wobei, hoch ginge ja noch. Aber hoch und schief?

Unweigerlich assoziiere ich Guantánamo, während mir der Begriff Countertenor kalten Schweiß auf die Stirn treibt. Kommen nach den Viren- und Exponentialexperten nun die E-Musik-Experten? Werden die Rock Classics von Startenor Peter Hoffmann neu verschwurbelt? Ach, Basel. Ach, ESC.

Während die Demokratie in Europa wankt, feierte sich eben dieses Europa selbst. Im Funkenregen und Glitzer­outfit. Hübsch anzusehen, aber geschmacklos.

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