Es darf getanzt werden. Schon zur Ouvertüre der „Operette aller Operetten“, der „Fledermaus“ von Johann Strauss, walzen die Paare durch den Hof von Schloss Rheinsberg, zeigen sich damit auch den Zuschauer:innen, die auf den hinteren Reihen oft das Nachsehen haben. Immer wieder bespielt die Inszenierung von Georg Quander – in seiner letzten Spielzeit als künstlerischer Leiter der Kammeroper Schloss Rheinsberg – das gesamte Auditorium, kann damit die visuellen und akustischen Nachteile der kleinen, zum See hin offenen Spielstätte ausgleichen.

Amelie Sophie Gorzellik als Rosalinde - Die Fledermaus Rheinsberg 2025. © www.axellauer.de
Bloß nicht langweilen – Die Kammeroper Schloss Rheinsberg inszeniert „Die Fledermaus“ von Johann Strauß
Die Kulisse selbst ist natürlich unschlagbar. Wenn die Sonne hinter den Arkaden des Schlosshofs versinkt, kann sich wohl kaum jemand dieser magischen Stimmung entziehen. Die kann auch nicht ins Kitschige abdriften, denn hier wird lässig-ironisch mit Gefühlen umgegangen, vor allem mit ihrer pathetischen Variante. Sie bietet genau den passenden Hintergrund für eine noch im Feudalismus verhaftete großbürgerliche Gesellschaft im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die angesichts der heraufziehenden Moderne so langsam zerbröckelt. Eine Gesellschaft, die sich hemmungslosem Amüsement verschrieben hat, sich mit Champagner betäubt und gewissermaßen den Tanz auf dem Vulkan vollführt.
Viel ist da für ein Bühnenbild denn auch nicht nötig: Tisch und Sessel genügen, um das Wohnzimmer der Villa Eisenstein und später das Büro von Gefängnisdirektor Frank anzudeuten. Und für das rauschende Fest bei Prinz Orlofsky ist ein Schloss ja gerade richtig. Umso mehr tobt sich Julia Dietrich, nach Stationen in Hamburg und Berlin heute regelmäßig am Münchner Volkstheater tätig, bei den Kostümen aus. Die Fantasie richtet sich nicht nur auf gründerzeitliche „Balltoiletten“, sondern geht in die Zukunft – und schwupps sind wir im Berlin der Roaring Twenties mit seinen Federboas, Zigarettenspitzen und Glitzerhauben, das seine Fühler zu heutigen queeren Tendenzen ausstreckt. Neben der der Museumsinsel entlaufenen Nofretete gibt es da auch Drastischeres zu sehen, etwa in einer Art Schweinskostüm. In Melania Mazzaferros Choreographie wuselt das fröhlich durcheinander und machen die Damen und Herren vom Vokalsystem Berlin nicht nur stimmlich gute Figur. Ein Hauch Barrie Kosky stellt sich ein, wenn auch niemals provokativ.

Maximilian Vogler als Eisenstein (l) und Robin Park als Dr. Falke (r) - Fledermaus Rheinsberg 2025. © www.axellauer.de
„Bloß nicht langweilen“ ist da die Devise, und das gilt für das Stück selbst wie für seine Inszenierung. So richtige Gesellschaftssatire traut sie sich nicht, doch witzig mit manchem netten Spitzen ist sie allemal. Die jungen Sängerinnen und Sänger der Kammeroper, teils Preisträger:innen des dortigen Gesangswettbewerbs, legen sich mächtig ins Zeug, sind in ihrer Spielfreude und Sangeslust eine Augen- und Ohrenweide. Was für ein Potenzial tut sich da auf, das nach den großen Bühnen strebt und dort oft zu schnell dem Verschleiß preisgegeben ist! Maximilian Vogler, schon mehrfach bei der Kammeroper zu erleben, ist ein charmanter Gabriel von Eisenstein, dem man seine außerehelichen Vergnügungen gerne als „Kavaliersdelikt“ nachsieht. Amelie Sophie Gorzelik als seine Frau Rosalinde hat den wohl anspruchsvollsten Gesangspart, erfüllt ihn mit schlankem, leuchtendem Sopran – eine schöne Mozartstimme, die,wenn es um Treue geht, auch mal kurz in die „Felsenarie“ aus „Cosi fan tutte“ ausweichen darf. Denn sie wird belagert von Alfred, dem Tenor, der seinerseits mit „Lohengrin“ und „Troubadour“-Zitaten aufwartet. Ferdinand Dehner gibt ihm den schmachtend-tenoralen Schmelz, ein Latin Lover, dem keine Frau widerstehen kann. Die Gelegenheit ist günstig: Denn Eisenstein muss wegen Beamtenbeleidigung, die das Publikum schmunzelnd nachvollzieht, ins Gefängnis. Da kann ihm auch Advokat Blind, schön chargierend dargestellt von Hans Kim, nicht weiterhelfen. Eher schon Freund Falke, dem Robin Park den geschmeidigen Bariton leiht, der ihn kurzerhand zur Orlofsky-Party entführt. Dort beginnt ein Masken- und Verwechslungsspiel der champagnerseligen Art, in dem auch Kammerkätzchen Adele im Kleid der „Gnädigen Frau“ mit dem hellen, durchsetzungsfähigen Sopran der Lorraine Pudelko brilliert. Orlofsky selbst ist auf hohen Absätzen im Marlene-Dietrich-Frack die überdimensionale Verkörperung gönnerhafter Willkür - „chacun à son goùt“, aber wer nicht mitmacht, „dem werfe ich die Flasche an den Kopf“. Rebecca Aline Frese ist mit glutvollem Mezzosopran das Raubtier, das sich nimmt, was es begehrt.
Was auf der Bühne gute Laune verbreitet, klingt im Schlosshof zunächst gewöhnungsbedürftig: Christian van den Berg-Brehmer leitet vom Klavier aus das nur siebenköpfige „Salonorchester“, das noch in der Ouvertüre den Glanz des vollen Orchesters schmerzlich vermissen lässt. Später versöhnen Solovioline und Klarinette etwa beim „ungarischen“ Auftritt Rosalindes. Immerhin trägt das kleine fragile Orchester zur hervorragenden Textverständlichkeit des Ensembles bei. Die Textfassung wurde vom Regisseur behutsam der Berliner Szenerie angepasst. So darf Merten Schroedter als Gefängniswärter Frosch wunderbar berlinern und Adele sächseln – Zugereiste halt, der noch einiges an „Integration“ abverlangt wird.
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