Der Name Peter Ronnefeld dürfte wohl nur noch einigen wenigen Eingeweihten etwas sagen. Dabei muss der 1935 in Dresden geborene Pianist, Dirigent und Komponist ein musikalisches Genie gewesen sein, ein Überflieger, extrem hochbegabt und produktiv. Bei der Lektüre des üppigen Programmbuches, das die Produktion von Ronnefelds einziger Oper „Die Ameise“ am Theater Bonn begleitet, weicht anfängliche Neugier jedenfalls mehr und mehr blankem Erstaunen und der Erkenntnis, dass Ronnefelds früher Krebstod 1965 ein schwerer Verlust für die Musikwelt war. Was hätte dieser Mann wohl noch alles zustande gebracht!
Nicole Wacker, Dietrich Henschel. Foto: © Bettina Stöß
Ein irres Panoptikum musikalischer Genialität – Die Ameise von Peter Ronnefeld am Theater Bonn
Dieser Eindruck verstärkt sich, nachdem man die Oper im Bonner Haus gesehen hat: „Die Ameise“ ist ein irres Panoptikum musikalischer Genialität. Hier kommt zu einer schrägen und zudem noch sehr hintergründigen Story von einem Gesangsprofessor, der des Mordes an einer Schülerin beschuldigt wird und im Gefängnis einer Ameise das Singen beibringen will, eine noch originellere Partitur. Das Ergebnis ist eine Sensation, dies, zumal auch die szenische und musikalische Seite dieser Produktion rundum gelungen sind. Dass man sich in Bonn überhaupt des Stoffes annehmen kann, ist eine Frucht der überaus verdienstvollen Reihe FOKUS’33. Hier hatte man zuerst Werke in den Blick genommen, die vor bzw. nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Vergessenheit geraten sind. Doch dieser Blick hat sich mehr und mehr geweitet, zu Unrecht vergessene Werke gibt es schließlich zur Genüge, und nichts täte dem auf sehr wenige und oft gespielte Werke verengten Opernrepertoire mehr gut als spannendes neues Repertoire.
Viele der hier entdeckten Werke hätten es verdient, ins Repertoire aufgenommen oder zumindest öfter gespielt zu werden, Othmar Schoecks Penthesilea etwa, Li-Tai-Pe von Clemens von Franckenstein, Asrael von Alberto Franchetti oder Musik für die Lebenden von Gija Kantscheli – allesamt Beispiele für eine beeindruckende Forschungsarbeit und sehens- wie hörenswerte künstlerische Leistungen. Das Echo der Fachwelt ist jedenfalls sehr erfreulich: 2023 wurde FOKUS’33 mit dem OPER! AWARD in der Kategorie Beste Wiederentdeckung ausgezeichnet. Auch künstlerisch sorgte das Projekt für großes Aufsehen. So wählte das Magazin Opernwelt Lorenzo Fioronis Inszenierung von Arnold Schönbergs Moses und Aron unter der musikalischen Leitung von Dirk Kaftan zur Aufführung des Jahres 2024.
Julius Westheide, Ján Rusko, Nicole Wacker, Marina Rosenstein. Foto: © Bettina Stöß
Peter Ronnefelds fast in Vergessenheit geratene Oper „Die Ameise“ fügt sich bestens in den Kanon der bereits aufgeführten Werke ein, wurde das Stück doch erstmals seit 1969 wieder neu inszeniert. Kateryna Sokolovas Inszenierung schafft den Spagat zwischen surrealer Story und realen Ereignissen. Zusammen mit dem ausgetüftelten Bühnenbild von Nikolaus Webern und den exaltierten Kostümen von Constanza Meza-Lopehandia ergibt sich ein ungemein spannender Opernabend, der nicht zuletzt von der Intensität der Darsteller und des Beethoven Orchesters getragen wird. Sokolova schafft eindrucksvolle Bilder von atmosphärischer Intensität, etwa in einem Gerichtssaal, in dem das geifernde Volk über den Angeklagten Maestro Salvatore herfällt oder bei einer rein orchestralen Traumsequenz im letzten Akt. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass das auch ohne jeglichen Gesang nur durch die Macht der Bilder und der Musik trägt.
Dazu leistet auch die musikalische Intensität des Abends einen entscheidenden Beitrag. Daniel Johannes Mayr leitet mit großer Intensität das Beethoven Orchester Bonn, das Ronnefelds wundersame Musik auf den Punkt bringt. Stilistisch lässt sich selbige kaum einordnen, da sich der Komponist mit größter Selbstverständlichkeit aus dem riesigen Fundus der abendländischen Musikgeschichte bedient und daraus etwas völlig Neues schafft. Es gibt höchst skurrile Besetzungen, komplexe Rhythmen und jede Menge harmonische Überraschungen. Diese Musik ist eine wahre Fundgrube, sie steht jedoch immer im Dienst der Handlung. Mayr und das Beethoven Orchester loten die vielschichtige Partitur ebenso umsichtig wie präzise aus. Ein Fest!
Auch die Besetzung ist ausgezeichnet. Dietrich Henschel, in Bonn zuletzt mit einer unglaublich intensiven Darstellung des Moses in Schönbergs Moses und Aron zu Gast, gibt seiner Figur konzise Konturen. Er ist stimmlich wie darstellerisch ungeheuer eindringlich, ebenso wie Nicole Wacker, die seine Schülerin Formica darstellt. Wacker spielt ihre Rolle mit sichtbarem Vergnügen und weiß dies mit ihrer höchst versatilen Sopranstimme bis in höchste Höhen perfekt umzusetzen. Stark besetzt sind auch die anderen Rollen: Susanne Blattert als das Rampenlicht ganz offensichtlich liebende Mutter Formicas, Ralf Rachbauer als überaus exaltierter Diener Salvatores sowie Ján Rusko als sonorer Gefängniswärter und Mark Morouse als selbstgefälliger Professor Mezzacroce. Eine Klasse für sich sind Carl Rumstadt als Fassadendieb und Tae Hwan Yun als Taschenkletterer, der seinen Häftlingskollegen in einem hinreißend schrillen Duett auf Kochtöpfen (!) begleitet, und, nicht zu vergessen, Roland Silbernagl und Svenja Wasser in verschiedenen kleinen Sprechrollen.
Chor des Theater Bonn, Svenja Wasser, Dietrich Henschel, Ján Rusko. Foto: © Bettina Stöß
Eine tragende Rolle hat auch der von André Kellinghaus perfekt einstudierte Chor des Theaters Bonn. Nicht nur die geifernde Volksmenge im Gerichtssaal oder im Variété, interessanterweise – auch so ein bedeutungsvoller Kunstgriff Ronnefelds – mit fast der gleichen Musik, wird mit druckvollem Pathos und höchst nachdrücklich dargestellt. Musikalisch wie szenisch ist das eine Wucht, wie überhaupt der ganze Abend.
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