Stephen Sondheims Musical „Merrily we roll along“ erlebte in Regensburg seine umjubelte deutschsprachige Erstaufführung. Einige Fragezeichen blieben.

Und ewig rollt die Diskokugel: Stephen Sondheims „Merrily we roll along“ am Theater Regensburg. Foto: Marie Liebig
Ein Leben zerbröselt: Stephen Sondheims „Merrily we roll along“ am Theater Regensburg
„Merrily we roll along“: Der Titel von Stephen Sondheims 1981 uraufgeführtem Musical führt bewusst in die Irre. Denn von unbeschwert fröhlichem Dahinrollen des Lebens kann hier eher keine Rede sein. Es geht vielmehr darum, wie Lebensentwürfe, Beziehungen und vor allem Freundschaften zerbröseln. Wie im zugrundeliegenden Theaterstück wird die Geschichte Frank Shepards chronologisch rückwärts erzählt. So erfahren wir nach und nach, wie der erfolgreiche Filmproduzent sich von den künstlerischen Idealen entfremdet hat, die ihn einst – noch als Komponist – mit seinem Textdichter und besten Freund Charley Kringas verbanden. Diese Freundschaft – Dritte im Bunde ist die heimlich in Frank verliebte Theaterkritikerin Mary Flynn – hat er ebenso vernachlässigt wie seine Familie. Auch seine zweite Ehe mit dem Broadway-Star Gussie Carnegie (ihr Vorname hätte im deutschsprachigen Kontext dringend geändert werden müssen) ist zu Beginn des Stückes schon wieder am Ende.
So wie sich hinter der heiteren Fassade des Showbusiness also kleine und größere Abgründe auftun, so sind auch in Sondheims intelligenter, quasi-leitmotivisch verwobener Musik immer wieder Untiefen versteckt: die unerwartete Harmonieverschiebung zu Beginn der großen Ballade „Growing up“ etwa (dt. „Die Vernunft“), die zynisch-brillante Beschreibung des Arbeitsprozesses der „Frank Shepard, Inc.“ („Frank GmbH“) durch Charley oder die wohl bewusst banal gehaltene Wohlfühl-Schlussnummer „Our Time“ („Wir sind dran“). Die dort naiv besungenen Zukunftsträume der College-Freunde hinterlassen im Lichte des zuvor Gesehenen einen schalen Beigeschmack.
Von dieser Doppelbödigkeit ist in der Regensburger Produktion leider nur wenig zu spüren, was drei Gründe hat: Die Übersetzung von Sabine Ruflair und Jana Mischke transportiert das Geschehen zuverlässig, entwickelt aber kein eigenes Sprachflair. Das Instrumentalensemble spielt unter Andreas Kowalewitz zwar außerordentlich präzise und rhythmisch straff, doch leider auch ohne swingende Flexibilität.
Vor allem aber hat es sich Intendant Sebastian Ritschel mit seiner Inszenierung etwas zu leicht gemacht. Die Zeitsprünge zurück einfach nur als Jahreszahl auf LED-Leuchtwand einzublenden, ansonsten aber in einheitlichem Diskokugel-Glamour zu verharren, wirkt etwas einfallslos. Die zwischen 1977 und 1957 sich verändernden Zeitumstände werden so nicht spürbar; statt einer Handlung meint man eher einer Revue beizuwohnen – mit starker Ähnlichkeit zum Sondheim-Pasticcio „Putting it together“, das in der vorletzten Spielzeit in Regensburg Premiere hatte. Auch für den Schwachpunkt von Sondheims Konzeption, der darin besteht, dass die Figuren – von ihrer Beziehung zum Protagonisten Frank abgesehen – wenig Kontur entfalten, hat Rietschel leider keine eigene Lösung.
Getragen wird das trotz allem gut funktionierende Stück von dem um zahlreiche Gäste aufgestockten Ensemble. Neben Andreas Bieber (Frank), Felix Rabas (Charley) und der anfangs noch etwas verkrampft wirkenden Friederike Bauer (Mary) als Freundestrio charakterisieren auch Nina Weiß (als Franks erste Frau Beth) und Alejandro Nicolás Firlei Fernández (als schmieriger Produzent Joe) ihre Rollen so prägnant wie möglich. Wie Musical-Gesang in tiefere Schichten vokalen Ausdrucks vordringen kann, zeigt Fabiana Locke als Gussie.
Den stehenden Ovationen nach zu urteilen, hat Regensburg somit nach „Come from away“ gleich den nächsten Musical-Hit im Spielplan. Merrily we sing along.
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