Nino Rotas 1955 am Teatro Massimo in Palermo uraufgeführte Opernfarce „Il cappello di paglia di Firenze“ ist eine der letzten Opern aus dem Geist des 19. Jahrhunderts und zugleich ein prophetisches Pionierprojekt der damals noch nicht denkbaren Postmoderne.
Pietro Spagnoli - R. Gatin - Maria Grazia Schiavo. Foto: © J. Berger - ORW Liège
Hochzeitsstress in Weiß: Rotas „Florentiner Strohhut“ in Liège
Rota setzte mit seiner prägnant charakterisierenden und zitierenden, aber nicht rückständigen Tonsprache einen letzten meisterhaften Akzent im Feld der Seitensprung-Stücke bürgerlicher Bauart. Inzwischen haben die Aufführungszahlen des „Florentiner Strohhuts“ nach der Komödie von Eugène Labiche die Goldoni-Opernkomödien von Ermanno Wolf-Ferrari längst überrundet. So kann sich das Publikum der Semperoper Dresden im Mai auf die Übernahme der Inszenierung von Bernd Mottl aus Graz freuen. Oder im November eine Vorstellung der in jeder Hinsicht wunderbaren Neuproduktion an der Opéra Royal de Wallonie de Liège besuchen.
Im Opernhaus Líége stimmt einfach alles um die Idealbesetzung des seinen Hochzeitstag mit der Suche nach einem Florentiner Strohhut hektisch vergeigenden Bürgers Fardinard. Ruzil Gatin hat die ideal leuchtende Tenorstimme für diese Paradepartie echter Belcanto-Größen mit Vergnügen an feinen Pointen, eine der ganz wenigen aus dem 20. Jahrhundert. Zudem ist Gatin groß, guckt im Turboflow der überstürzten Ereignisse immer sparsamer aus der Wäsche und hat genau den Funken Rest-Naivität, welche die Riesenpartie erst recht sympathisch macht. Bravo.
Man spart in Liège nicht an Können, Feinschliff und Personal. Der imponierend genau arbeitende, mitunter leicht kühl wirkende und dabei das Ensemble zu einem lockeren Spiel trainierende Damiano Michieletto will in seiner Regie keine primitive Pointenjagd. Es ist erstaunlich, was für Raum-Vielfalten Paolo Fantin aus einer geschlossenen Bühnenbox und – alles nur Weiß – wenigen Wänden mit wenigen Möbeln macht, während Fadinards und Elenas Hochzeitsgesellschaft immer fußlahmer durch Paris labyrinthisiert, statt an einem Ort zu feiern. Der Chor spielt die Festgäste an der Schnittstelle zwischen Klein- und Geldbürgertum burlesk, singt dazu Rotas Bizet- und Meyerbeer-Überschreibungen mit süffisanter Brillanz (Direktion: Denis Segond). Farbakzente setzen Sylvia Aymonios treffsichere Kostüme, unter ihnen das Brautpaar in Kastanie- und Cognactönen. Die Figuren sind ein fescher Schwarm im Pariser Individuen-Biotop mit gleich für mehrere Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts gültiger Spezifizierung. Blitzschnell ereignen sich die Umzüge von aufgebrezelten Biedermenschen zur Wachmannschaft und den schwarzen Elite-Lemuren um die gefeierte Society-Hyäne Baronessa de Champigny. In dieser Partie macht Josy Santos jeden lockenden Ton und jede auffordernde Bewegung zur formvollendet eindeutigen Zweideutigkeit. Elena Galitskaya, welche als Anaide beim Seitensprung-Treffen den zum Katastrophen-Requisit werdenden Strohhut verliert, singt die Figur, an der Fadinard seine eigene Ehezukunft ablesen könnte, schön und angemessen durchtrieben.
Blagoj Nacoski. Foto: © J. Berger - ORW Liège
Nur der Strohhut ist an diesem Opernabend pink, in der Haltung der Inszenierung sonst nichts. Dem Gast aus Deutschland kommt es schon auffällig vor, dass diese Produktion heteronormative Positionen ohne queeres Parallelgeschehen vorführt. Allerdings wächst Michielettos Regie zu einer liebevoll satirischen Schärfung, der man die Skepsis am schönen Schein und am verdächtig blütenweißen Rahmen anmerkt. Der Buffo-Grandseigneur Pietro Spagnoli gibt einen exzellenten Brautvater Nonancourt, Didier Pieri einen herzig nüchternen Onkel Vezinet und Marcello Rosiello den das von Anaide aufgebaute Ekelpaket-Image schön unterlaufenden Beaupertuis. Etwas im Nachteil durch sehr gute „Strohhut“-Aufführungen ist immer die Braut Elena, obwohl sie bei Rota die meisten Kantilenen singt. Dabei gibt Maria Grazia Schiavo mit kräftig schönem lyrischen Sopran eine eher starke als blässliche Partie. Lorenzo Martelli, Blagoj Nacoski, Rodion Pogossov, Marc Tissons, Léonid Anikin und Elisa Verzier tragen in Nebenpartien zum hohen Niveau der Vorstellung bei, die pointiert spielende Statisterie auch.
Mehr noch das Orchester der Opéra Royal de Wallonie-Liège. Leonardo Sini setzt am Pult auf trockene Pointierung und lässt sich in den Kantilenen-Inseln gern von Rotas Inspiration tragen. Mehr muss er nicht tun. Denn das Orchester spielt mit virtuoser Lust an Rotas aus konturierter Effizienz wachsendem Melos. Gerade weil Rota die große italienische Opernvergangenheit des 19. Jahrhunderts unter hörbarem Verzicht auf Verismo und Puccini liebte, bleibt Fellinis und Viscontis bevorzugter Filmkomponist bewundernswert kitschfrei. Michieletto und Sini haben das erkannt. Mit diesem Wissen vermittelten sie dem Ensemble eine perfekte, doch immer fragil wirkende Sicherheit und Spiellust. Das kann man anders, aber schwerlich besser machen. Ovationen – Begeisterung zeigte auch das zahlreich anwesende junge Publikum.
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