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Internationaler Museumstag 2025.

Internationaler Museumstag 2025.

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Musikalische Jahrestage (18) – 18. Mai – Internationaler Museumstag

Vorspann / Teaser

Anlässlich des Internationalen Museumstages tritt die nmz zum dritten Mal eine Reise zu deutschen Musik- und Musikermuseen an. Nach Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen sind wir in diesem Jahr in zwei sehr unterschiedlichen Museen in Nordrhein-Westfalen und Hessen zu Gast. Sie zeigen aber beide in ebenfalls unterschiedlicher Art und Weise, wie Museen entstehen, was Museumsmacher persönlich antreibt und was Museen sonst noch so tun, außer einfach einen Raum mit einer Vielzahl von Gegenständen vollzustopfen.

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Musik ist ein flüchtiges Phänomen: im Moment ihres Erklingens ist sie auch schon wieder verschwunden, einfach weg, unsichtbar in den Weiten der Atmosphäre entfleucht. Das ist natürlich für Museen ein Problem. Sie möchten gern etwas ausstellen, etwas zeigen. Mehr noch: die Zeiten, in denen man durch ein Museum ging und nichts anfassen durfte, sind ja weitgehend vorbei. Mitmachen und Interaktivität sind die Zauberworte der modernen Museumspädagogik. Nun sind viele Exponate zu wertvoll und auch zu zerbrechlich, um (ständig) berührt zu werden. Dann aber kann man um diese Exponate herum ein Programm entwerfen, das in direktem Zusammenhang zu ihnen oder ihrer Entstehung steht.

Kann man im Rahmen dieser Serie über „Musikalische Jahrestage“ immer wieder lesen, dass die Jahrestage, die auf der Plattform „kuriose Feiertage“ erwähnt werden, zumeist – obwohl sie auf demselben Tag liegen – nichts miteinander zu tun haben, so können wir heute ein wenig kreativ sein: In den USA wird heute der „Besuch-Deine-Verwandten-Tag“ (National Visit your Relatives Day) begangen. Eigentlich schlimm, dass man nur einmal im Jahr an seine Verwandten denken soll/darf – aber man könnte den Tag ein wenig umbenennen: „Triff-Dich-mit-Deinen-Verwandten-im-Museum-Tag“. Der kommunikativ-familiäre Charakter des Tages bliebe erhalten und durch die öffentliche Umgebung würden mögliche (an solchen Tagen ja immer gern genommene) Familienstreitigkeiten unterbleiben. Am Ende hat man auch noch ein gemeinsames positives Erlebnis, das den Familienfrieden vielleicht auch für die Zukunft beeinflussen kann …

Oder der ebenfalls US-amerikanische „Kein-schmutziges-Geschirr-Tag“ (No Dirty Dishes Day). Kein schmutziges Geschirr findet man mit Sicherheit in den zahlreichen Porzellan- und Keramikmuseen: etwa (um hier nur drei Beispiele aus einer riesengroßen Auswahl zu nennen) im Porzellanikon in Selb, im Töpfermuseum Duingen oder im Keramik-Museum Bürgel. – Ebenso ist es mit dem heutigen „Welttag des Backens“. In fast jedem Freilichtmuseum gibt es ein Backhaus, das in Benutzung ist und wo man das frisch gebackene Brot auch kaufen kann (sehr lecker im Freilichtmuseum Kiel-Molfsee). Explizit mit Brot beschäftigt sich das „Museum Brot und Kunst. Forum Welternährung“ in Ulm. Man könnte – um ein wenig vom Brot aus nach links und rechts zu schauen – auch das „Deutsche Zusatzstoffmuseum“ in Hamburg, das „Deutsche Salzmuseum“ in Lüneburg oder das „Ostfriesische Teemuseum“ in Norden besuchen. Soooo viele Museen und nur ein Museumstag …

Zurück zur Musik! Wir haben in diesem Jahr zwei private Sammlungen besucht: das „Bergische Drehorgelmuseum“ in Marienheide und das „Spohr-Museum“ in Kassel. Das erste ist aus persönlicher Liebhaberei entstanden. Ein einzelner Mann, Dr. Ullrich Wimmer, hat schon seit seiner Studienzeit mechanische Musikinstrumente und Drehorgeln gesammelt. Alles ist privat, das Museum finanziert er vollständig aus der eigenen Tasche. Das Spohr-Museum hat einen Trägerverein, die „Internationale Louis Spohr Gesellschaft e. V.“, der zum Beispiel steuerlich begünstigt Spenden einwerben kann. Obendrein stellt die Stadt Kassel aus einem regionalen kulturellen Interesse heraus dem Museum die Räume des Museums kostenfrei zur Verfügung und finanziert die beiden hauptamtlichen Kräfte am Museum.

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Das Bergische Drehorgelmuseum in Marienheide auf einen Blick – ein kleines Museum. © Bergisches Drehorgelmuseum / Maxx Hoenow

Das Bergische Drehorgelmuseum in Marienheide auf einen Blick – ein kleines Museum. © Bergisches Drehorgelmuseum / Maxx Hoenow

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Das Bergische Land – benannt nach dem historischen Territorium des Herzogtums Berg - liegt auf der rechten Rheinseite. Größere Städte dort sind Remscheid, Solingen, Wuppertal und Leverkusen. Ein großer Teil des bergischen Landes ist aber einfach nur idyllisch – mit seinen wunderbaren geschwungenen Mittelgebirgsformationen, seinen Hügeln, Wiesen und Wäldern und seiner überschaubaren Besiedlung. Der Weg nach Marienheide zum „Bergischen Drehorgelmuseum“ lässt einen gelegentlich daran zweifeln, ob man sich noch in der Nähe menschlicher Zivilisation befindet. Etwas erhöht stehend findet man dann ein ehemaliges kleines Dorfkirchlein, das Wimmer erworben hat, als seinen Altersruhesitz und als Museum, Heimat für seine Sammlung.

Musikalische Sozialgeschichte

Das Museum ist überschaubar – nur der Hauptraum der Kirche ist mit Exponaten gefüllt. Wenn Wimmer dann aber kenntnisreich zu erzählen beginnt und aus jeder Ecke noch ein weiteres fahrbares Instrument in den Mittelgang der Kirche zieht und vorführt, erkennt man schnell, dass alles gut gepackt und verstaut ist. Tatsächlich lohnt sich deshalb ein einfacher Besuch des Museums (reingehen – schauen – rausgehen) nicht. Das ist von Wimmer auch nicht wirklich so gedacht – er selbst macht Führungen, greift hierhin und dorthin, führt ein kleines Schätzchen nach dem anderen vor und weiß viele Geschichten und Anekdoten zu erzählen. Als Theologe hat er dabei immer wieder die Menschen in ihrem sozialen Zusammenleben und ihrer Beziehung zur Musik im Blick. Er kann aber auch sehr detailreich über technische Zusammenhänge berichten.

Seine Sammlung (mit dem Untertitel: „Museum für Musikautomaten“) besteht aus zahlreichen Spieldosen, Spieluhren und Pianolas – selbstspielende Musikinstrumente mit Walzen, Lochplatten oder Notenrollen. Auch diese Trägermedien für Musik hat er umfangreich gesammelt. Sein Hauptaugenmerk aber liegt auf Drehorgeln oder auch Leierkästen, wie sie in Norddeutschland genannt werden. Drehorgeln sind in ihrer Bauweise und Funktion dabei den Pfeifenorgeln sehr ähnlich. Die Tonerzeugung erfolgt über Pfeifen, die von Luft angeblasen werden. Der Balg, der den Spielwind zur Verfügung stellt, wird dabei mit einer Kurbel bedient. Gleichzeitig – und das ist der größte Unterschied zur Pfeifenorgel – werden durch die Kurbel ein Lochband oder auch Lochkarten vorangetrieben auf denen die Musik aufgetragen/eingestanzt wurde. Es spielt hier also nicht ein Mensch die einzelnen Pfeifen mit seinen Fingern an, sondern eine automatisierte Mechanik.

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Walzendrehorgel „Uniflûte“ der Firma Gavioli, Paris 1872. © Bergisches Drehorgelmuseum / Roland U. Neumann

Walzendrehorgel „Uniflûte“ der Firma Gavioli, Paris 1872. © Bergisches Drehorgelmuseum / Roland U. Neumann

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„rund“ oder „eckig“

Das Drehen der Kurbel erscheint einfach. Aber auch hier bedarf es ein wenig der Übung. Wimmer erzählt davon, wie man die Kurbel „rund“ und „eckig“ drehen kann. Hat man einen sehr runden Schwung beim Drehen, so entsteht eine sehr runde, eben fast mechanische Musik. Durch ein eckiges, ein gelegentlich abgebremstes und wieder beschleunigtes Drehen kann man der Musik Leben einhauchen und interpretiert durch sein Drehen an der Kurbel quasi das Stück auf seine persönliche Art. Der interpretatorische Rahmen ist dabei allerdings nicht allzu groß: Dreht man die Kurbel zu schnell, wird zu viel Winddruck erzeugt und die Pfeifen überblasen, dreht man zu langsam, ist der Winddruck zu klein und die Drehorgel geht, so Wimmer, „in die Knie“. Interessant ist dieses Phänomen dann, wenn man versucht nachzuvollziehen, in welchem Tempo Musik in früheren Zeiten gespielt wurde. Die originalen Notenrollen etwa aus dem 18. oder 19. Jahrhundert geben zu diesem Thema ein klingendes Zeugnis ab. So ist auch dieses kleine Museum (fast) am Ende der Welt eine kleine musikwissenschaftliche Forschungsstätte. Alles in allem ein sehr empfehlenswertes Museum, das die weite Reise voll und ganz wert ist!

Übrigens – zwei Dinge noch: Drehorgeln dienten nicht nur der Unterhaltung, Belustigung und dem Aufspielen zum Tanz. In Zeiten, als die Organisten in Kirchen knapp waren, wurden Drehorgeln auch im Gottesdienst eingesetzt – insofern sind die Drehorgeln in der alten Marienheider Kirche auch ein wenig zu Hause. Und: Drehorgelmusik ist nicht nur alte „Unterhaltungsmusik“. Bei den Donaueschinger Musiktagen hat es mehrfach zeitgenössische Kompositionen gegeben, die unter anderem mit einer Drehorgel besetzt waren.

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In Kassel war Spohr Louis als Hofkapellmeister angestellt - sein Arbeitsplatz war das Dirigentenpult. An dieser Mitmachstation kann man durch Klopfen auf die Pulte einzelne Stimmen spielen lassen und miteinander kombinieren. © Spohr-Museum, Kassel

In Kassel war Spohr Louis als Hofkapellmeister angestellt - sein Arbeitsplatz war das Dirigentenpult. An dieser Mitmachstation kann man durch Klopfen auf die Pulte einzelne Stimmen spielen lassen und miteinander kombinieren. © Spohr-Museum, Kassel

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Louis Spohr

Louis Spohr ist lange Zeit von der musikwissenschaftlichen Forschung stiefmütterlich behandelt worden. Der Leiter des Spohr-Museums in Kassel, Dr. Karl Traugott Goldbach, warnt eindringlich davor, sich etwa auf die Daten über Spohr in der Wikipedia und anderen Publikationen zu verlassen. Zu viele Fehler und Geschichtchen haben sich über Spohr eingeschlichen und verbreitet – etwa die Frage, ob er oder Carl Maria von Weber denn Taktstock erfunden haben. Wohl beide nicht!

Im Jahr 2023 ist die Sammlung des Museums in das Palais Bellevue eingezogen. Auch wenn Spohr hier nie gelebt hat, wurde bei der Restaurierung des Palais darauf Wert gelegt, die Räume in ihrer historischen Bausubstanz zu erhalten und wiederherzustellen. Dadurch kann man heute in etwa nachvollziehen, wie Spohrs Wohnung wohl ausgesehen haben mag. Darüber geben auch in ihrer Qualität (aus der Frühzeit der Fotografie!) erstklassige Fotos der originalen Wohnung Spohrs Zeugnis, die auf die Größe der Zimmer vergrößert worden sind. Originale Möbel und Musikinstrumente aus dem Besitz Spohrs geben diesen Riesenbildern so etwas wie einen 3D-Effekt und geben einen hervorragenden Einblick in Spohrs Wohnzimmer, Musikzimmer und Arbeitszimmer.

Spohr war bereits in jungen Jahren ein begabter und gefeierter Violinist. In der Zeit von 1805, seinem Debut im Gewandhaus Leipzig, bis 1822 wird er als der führende deutsche Geiger gefeiert, zusammen mit Niccolò Paganini wird er zu den international besten Geigern ihrer Zeit gezählt. Als Spohr nach Kassel als Hofkapellmeister berufen wird, wird es um ihn als Geiger stiller, seine Aufgaben in Kassel lagen im Komponieren für die und Dirigieren der Hofkapelle. Auch seine Kompositionen weisen auf diese Stellung hin: hatte er den größten Teil seiner Solo-Violinkompositionen in seiner aktiven Virtuosenzeit geschrieben, teils sich persönlich auf den Leib geschrieben, schreibt er in Kassel mehr Sinfonien. Über seine gesamte Schaffenszeit hat er allerdings Streichquartette und Streichquintette komponiert, in denen er in Kassel auch selbst mitspielte.

Spohr hatte einen ausgeprägten Personalstil, den er zeitlebens beibehielt und nicht nennenswert weiterentwickelte. Böse Zungen sagen, die Mode sei über ihn hinweggegangen. In Kassel hatte er allerdings immer einen guten Stand, seine Musik wurde gespielt und gehört. Auch in der Neuen Zeitschrift für Musik wurde er von Robert Schumann mit sehr positiven Worten bedacht. Bei dessen Nachfolger Franz Brendel, der bekennender Wagnerianer war, kam er allerdings ab 1845 nicht mehr so gut weg. – Einen großen Teil seiner Zeit verbrachte Spohr in Kassel mit Unterrichten. Dabei galt er als „teuer“. Eine Stunde kostete bei ihm einen Taler. Zum Vergleich: bei zwei Stunden, die Spohr jedem Schüler pro Woche zu geben pflegte, entsprach dieses dem Jahreslohn eines Handwerkers in Kassel.

„Mutter“ und „Stammheim“

Aber auch das Spohr-Museum ist nicht nur Museum, sondern auch Forschungsstätte. Derzeit arbeitet Goldbach an einer Ausgabe aller Briefe, die Spohr geschrieben oder erhalten hat – immerhin alles zusammen einige tausend. – Da die Kasseler Spohrsammlung letztlich aber überschaubar ist und nicht unendlich viele Sonderausstellungen daraus generiert werden können, beschäftigt sich das Museum auch mit musikalischer Regionalgeschichte. Ein ganzer Raum ist dabei auch „neueren“ Musikrichtungen, wie Beat, Punk und Techno gewidmet. Hier hatte Kassel immer spannende Musiker und Szenelokale zu bieten – etwa das „Mutter“ (Punkkneipe) oder das „Stammheim“ (Technokneipe). Die Dekorationen in diesem Ausstellungssaal reichen von der alten Zapfanlage des Mutter bis hin zu Pilzen, die Originaldekoration im Stammheim gewesen sind. Dieses mag in der Beamtenstadt Kassel möglicherweise nicht jedem gefallen …

Musiker und Zahngesundheit

Im oberen Stockwerk des Museums gibt es einen Raum, der regelmäßig für wechselnde Sonderausstellungen zur Verfügung steht. Schon zum zweiten Mal zeigt Goldbach derzeit hier eine Ausstellung, die sich mit der Zahngesundheit von Musikern beschäftigt. Ausgangspunkt für diese Ausstellung war ein Kind, das beim Betrachten eines Bildes von Spohr in der Ausstellung gesagt haben soll: „Der sieht aus, als ob er keine Zähne mehr hat!“ Immerhin war bei seinem Tod 75 Jahre alt – in einer Zeit, als Zahngesundheit nur ein eher marginales Thema war, auch wenn schon Johann Joachim Quantz auf die Bedeutung der Zähne beim Flötenspiel hinweist. Auch die Totenmaske Spohrs zeigt seine eingefallenen Wangen, die noch einmal auf seine Zahnlosigkeit hindeuten.

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Durch das Halten der Geige am Kinn kann es zu Verschiebungen der beiden Gebisshälften gegeneinander kommen. Eine einfache Kauschiene kann da Abhilfe leisten. © Spohr-Museum, Kassel

Durch das Halten der Geige am Kinn kann es zu Verschiebungen der beiden Gebisshälften gegeneinander kommen. Eine einfache Kauschiene kann da Abhilfe leisten. © Spohr-Museum, Kassel

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In der Ausstellung werden zahlreiche Beispiele dafür gezeigt, wie sehr Zähne (und damit auch die Zahngesundheit) für Musiker von teilweise existenzieller Bedeutung sind. Wenn die Zähne nicht vorhanden oder verschoben sind, können Bläser zum Beispiel keinen vernünftigen Ansatz zustande bringen. Hier hat Goldbach auch einige zahnmedizinisch hergestellte Kiefermodelle gefunden, die zahnmedizinische Möglichkeiten/Techniken zeigen, die Spielfähigkeit von Bläsern wiederherzustellen. Darum herum zeigt die Ausstellung alles von den ersten Zahnbürsten und Zahncremes über einen sehr frühen Behandlungsstuhl aus einer Zahnarztpraxis bis hin zu einer modernen Kinderzahnbürste, die drei Minuten lang Musk von Justin Bieber spielt, solange, wie man seine Zähne eben putzen soll. – Sollte einem also der „alte Spohr“ (was er ausdrücklich nicht ist!) zu staubig sein, findet man spätestens hier bei der Zahngesundheit vieles, was einem im eigenen Leben vielleicht schon einmal Pein bereitet hat, aber auch einen völlig neuen Blick auf die eigenen Zähne eröffnet. Genial!

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