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nmz-Streaming-Empfehlungen vom 4.12. bis zum 10.12.2020
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Unübersehbar #30 – nmz-Streaming-Empfehlungen vom 4.12. bis zum 10.12.2020

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Opernopulenz und musiktheatrale Transformationen, Verbeugungen vor Helmut Lachenmann und Matthias Kaul, 40 Gratulationen für das Ensemble Modern und eine Dresdner Schattensuche. Mit dieser Auswahl machen wir unübersehbar die 30 voll. Wir hoffen, Sie fühlen sich beschenkt. [jmk]


Ab 4. Dezember


Staatstheater am Gärtnerplatz München: Gaetano Donizetti – „Anna Bolena“
Freitag, 4.12.2020, 19:00 Uhr
Live-Videostream auf der Theaterwebseite; anschließend 2 Tage lang als Video on demand verfügbar.

Unter „normalen“ Bedingungen bringt es der Platz vor dem Haus des regieführenden Intendanten Josef E. Köpplinger genauso oft in die Schlagzeilen wie das Haus selbst. Die Anlage vor dem Münchner Gärtnerplatztheater ist ein angesagter Jugend-Treffpunkt, bei dem es weniger um Oper oder Theater geht. Doch die dort praktizierte bayerische Lebensart hinterlässt auch für manchen Anwohner zu viel Lärm in der Nacht und Abfälle am nächsten morgen. Künstlerisch ist es für das kleinere Münchner Opernhaus nicht leicht, sich überregional im Schatten der Staatsoper bemerkbar zu machen. Manchmal gelingt es – wenn Katharina Wagner oder Peter Konwitschny dort inszenieren. Was natürlich  – wie so oft – auch irgendwie unfair ist.
Da bietet das auch an diesem Haus im Theater-Lockdown praktizierte Ausweichen mit einer Premiere in den digitalen Raum sogar etwas mehr Chancengleichheit, zumindest beim Blick auf auswärtige Besucher. Mindestens bis 20. Dezember sind die Theater in Bayern für den laufenden Spielbetrieb geschlossen. Aber da die erste Netzübertragung der Spielzeitpremiere von  „Hänsel und Gretel“ mit 13.000 Abrufen innerhalb von zwei Tagen am Gärtnerplatz mit Recht als Erfolg verbucht werden kann, geht es auch jetzt erstmal auf diesem Weg weiter.
In Kooperation mit der BRKulturBühne wird das Theater am Freitag, dem 4. Dezember von 19.00 Uhr bis 21.40 Uhr die Premiere einer von Maximilian Berling dafür speziell eingerichteten halbszenischen Variante (Kostüme: Inge Schäffner) von Gaetano Donizettis „Anna Bolena“ streamen. Diese Produktion ist danach noch zwei Tage im Netz über die Homepage des Theaters abrufbar.
Am Pult des Haus-Orchesters wird Howard Arman stehen. Die Titelpartie dieser Belcanto-Oper übernimmt  Jennifer O’Loughlin. Sie gehört seit 2016 zum Hausenemble und hat hier beispielsweise schon in den die Titelpartien von „Maria Stuarda“, „Martha“ und „Semele“ geglänzt und Amina (in „La sonnambula“), Mozart-Rollen wie die Konstanze, Donna Anna und Fiordiligi verkörpert.
In Donizettis Oper aus dem Jahre 1830 entzünden sich die musikalischen Leidenschaften am Schicksal der jungen Anne Boleyn, die in das Kraftfeld von König Heinrich VIII. gerät, was ja bekanntlich lebensgefährlich war. Ein Paradebeispiel des italienischen Belcanto, für das man es sich daheim bequem machen kann. Gänzlich ohne Gefahr für Leib und Leben.
[Joachim Lange]

Landestheater Niederbayern: Giacomo Puccini – Madama Butterfly
Freitag, 4.12.2020, 19.00 Uhr
Live-Videostream über die Theaterwebseite; danach als Video on demand verfügbar.

Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was ich davon halten soll, dass jetzt doch viele Kulturinstitutionen in leeren Häusern und vor leeren Rängen spielen. Aus Sicht der Künstler*innen ist das natürlich verständlich, aber ist es auch künstlerisch genügend? Einen gewichtigen Vorteil hat das Vorgehen unzweifelhaft, man kann auch dort ins virtuell-reale Theater gehen, wohin selbst Premieren-Junkies sonst eher nicht kämen. Das Landestheater Niederbayern hätte von Ende Oktober bis Ende Januar diese „Madama Butterfly“ drei Mal zur Premiere bringen können: in Passau, Landshut und Straubing. Jetzt startet es in jedem Fall in der Mediathek. Als erste komplette Produktion steht ab dem 4. Dezember, 19:00 Uhr, Puccinis Oper auf der Homepage des Theaters zur Verfügung. Der Stream ist für die Zuschauer*innen komplett kostenlos und kann beliebig oft angesehen werden.
[Martin Hufner]


Ab 5. Dezember


Chaosmos – Der Film
Premiere am Samstag, 5.12., 20:00 Uhr
Video on demand auf www.chaosmos.info und www.nachtkritik.de

Die mysteriösen Verstrickungen von Ordnung und Chaos sind bekanntlich seit Jahrhunderten Gegenstand der Philosophie, Naturwissenschaft und Kunst und bis heute ein unerschöpflicher Quell der Erörterung und Spekulation. Dieser monströsen Undurchschaubarkeit widmeten sich Marc Sinan (Komposition), Tobias Rausch (Text) und Konrad Kästner (Regie) mit „Chaosmos“ und waren im Modus theatraler Transformationen „unserer Angst vor dem Chaos und der Natur menschlicher Ordnungssysteme, ihrem Sinn, ihrem Unsinn, mit ihrer Vergeblichkeit und mit der Frage, wem sie am Ende eigentlich dienen“ auf der Spur. Ursprünglich ein Projekt des Theaters Bremen, der Oper Halle und der Oper Wuppertal, das im Januar 2020 als Oper für 4 Solisten, Orchester und Gabelstapler in Wuppertal Premiere hatte, entstanden im Rahmen von NOperas, einer Initiative des Fonds experimentelles Musiktheater.
Inzwischen wurde es es in eine Film-Version verwandelt, in der zwei Schauspielerinnen und vier Sänger*innen in den Eingeweiden spätkapitalistischer Vertriebsprozesse und Ordnungssysteme genauso unterwegs sind wie in den mathematischen Labyrinthen der Natur: Sie erkunden als umtriebige Lageristen so geheimnisvolle Ideen wie Dynamische Lagerhaltung, Objektpermanenz, Kökkenmöddinger, Phyllotaxis, Fehlerkultur, Paper-Towns und Octant_projection, um nur einiges zu nennen. Am 5. Dezember bietet die digitale Premiere von „Chaosmos“ dann selbst flexible Wahrnehmungsmöglichkeiten an: So können die 22 Episoden des Films chronologisch separat, als Ganzes oder in beliebiger Folge durcheinanderrezipiert werden. Also: „Es lebe die Logistik!“ (Titel von Video-Kapitel 22).
[Dirk Wieschollek]


Ab 6. Dezember


Helmut Lachenmann – My Way. Ein Film von Wiebke Pöpel
TV-Premiere am Sonntag, den 6.12.2020, 8.15 Uhr im SWR Fernsehen, im Anschluss 30 Tage in der ARD-Mediathek. Infos und Trailer unter https://lachenmann-film.de/

In den Jahren 2015/16 hat die Filmemacherin Wiebke Pöpel den Komponisten Helmut Lachenmann für die DVD-Reihe „Lachenmann Perspektiven“ (Link zur Infoseite bei Breitkopf & Härtel) bei der Einstudierung verschiedener seiner Werke begleitet. Nun legt sie einen Porträtfilm vor, der am 6. Dezember erstmals ausgestrahlt und dann 30 Tage lang in der Mediathek des SWR zu sehen sein wird. „Der sehr persönliche Film nähert sich dieser Musik und seinem Protagonisten auf sinnliche und humorvolle Weise“, heißt es in der Ankündigung, worauf schon der Filmtitel hinweist, der kaum ernst gemeint sein dürfte. Wir sind gespannt wie ein zweckentfremdeter Geigenbogen.
[Juan Martin Koch]

Musik 21 Festival: „Musik für eine Stadt“ – Premiere des Festival-Films
Sonntag, 6.12.2020, 16:00 Uhr via Festivalwebseite

„Das für dieses Jahr geplante Musik 21 Festival findet als Film im Internet statt. Alle Beteiligten Ensembles und Musiker*innen haben ihre Festival-Beiträge filmen lassen, um auf diese Weise das ursprüngliche Konzept des künstlerischen Leiters Matthias Kaul beibehalten zu können. […] Kaul hat die Gelegenheit des Jubiläums der Stadt Uelzen aufgegriffen (750-jähriges Stadtjubiläum), um ein Festival zu entwerfen, das ganz die Interaktionen innerhalb der Stadt in den Fokus nimmt: Eine Musik, die in der Stadt entsteht und für sie gemacht ist. […] Die Arbeit an den Kompositionsmodellen und -konzepten hat nach dem plötzlichen Tod von Matthias Kaul im Juli 2020 Astrid Schmeling in enger Zusammenarbeit mit Daniel Orthey, dem Leiter der Musikschule Uelzen, fortgesetzt. Musik 21 Niedersachsen sieht den entstandenen Festivalfilm auch als eine Hommage an Matthias Kaul und seinen unerschöpflichen Ideen- und Erfindungsreichtum.“
So weit ein Ausschnitt der Ankündigung. Ein in jeder Hinsicht unbedingt wichtiger Beitrag in diesem Jahr. Pädagogisch, künstlerisch und zur Erinnerung an den Musiker Matthias Kaul.
[Martin Hufner]


9. Dezember


Ensemble Modern On Air: „Beschenkt – Miniaturen zum Doppeljubiläum“
Mittwoch, 9.12.2020, 19:00 Uhr
Live-Videostream auf der Ensemblewebseite und via YouTube; Link zum Trailer Trailer hier

40 Uraufführungen, also mehr als an einem ganzen Donaueschingen-Wochenende, wird das Ensemble Modern anlässlich seines vierzigjährigen Bestehens in einem Konzert spielen. 40 Kurzkompositionen, ein bis zwei Minuten lang, von 40 Komponist*innen (u.a. Brian Ferneyhough, Mark Andre und Olga Neuwirth) wurden zu den Topoi Winter, Weihnachten und Zeremonie komponiert. Angekündigt ist „ein facettenreiches und kurzweiliges Kaleidoskop der Musik des 21. Jahrhunderts“.  Gleichzeitig kann das Frankfurter Ensemble das 20-jährige Bestehen seines eigenen Labels „Ensemble Modern Medien“ begehen. So ist dieses Konzert zugleich der Release-Gig ihrer neuen CD-Produktion mit eben diesen vierzig Stücken. Statt eines großen Festaktes gibt es am 9. Dezember einen Live-Stream aus der Alten Oper. Moderiert wird das Konzert von Schriftsteller Ilija Trojanow, dirigiert von Ingo Metzmacher.
[Juana Zimmermann]


Bis auf weiteres verfügbar


Wolfgang H. Scholz/Rainer Promnitz: Schattensucher vom Schillerplatz (1994/2020).
Mitschnitt der Uraufführung der Neufassungen von Film und Musik vom 3. Oktober 2020 im Kulturpalast Dresden
Video on demand via YouTube

Am 29. November 2020 feierte die Dresdner Philharmonie unter Chefdirigent Marek Janowski ihr Jubiläum 150 Jahre mit einem digitalen Festkonzert aus dem Kulturpalast Dresden: ohne den geplanten Festakt, ohne Publikum, ohne Mediendesign und dafür in kalt-weißem Licht. Der vorgesehene Sciarrino-Schwerpunkt und Auftritte der Artist-in-Residence Elisabeth Kulman liegen wegen des Herbst-Lockdowns auf Eis.
Zum Glück gibt es eine Aufzeichnung aus dem Konzert „Lichtspielmusik“ vom 3. Oktober 2020 zu den Thementagen „30 Jahre Deutsche Einheit“. Neben Kompositionen von Paul Dessau und Hanns Eisler Eisler gelangte ein intensives Dokument der Nachwendezeit zur Wiederaufführung. Der Dresdner Künstler Wolfgang H. Scholz und Rainer Promnitz, Komponist und Cellist der Dresdner Philharmonie, verknappten ihren 1994 entstandenen Film „Schattensucher vom Schillerplatz“ für die Neufassung auf eine halbe Stunde. Dieser ist ein beeindruckendes und bewegendes Dokument über die Jahre des Übergangs vom DDR-System in die freie Marktwirtschaft. Nicht nur die Farbaufnahmen aus den frühen 1990er-Jahren zeigen Brüche der rapiden epochalen Umwälzung, sondern auch Gegenüberstellungen mit alten Aufnahmen in Schwarzweiß. Promnitz’ Musik fängt Atmosphären und Emotionen mit nachdrücklichen Kantilenen und implantierten Fragezeichen ein, musikalische Pausen sind beredtes Schweigen. Ein außergewöhnlicher Heimatfilm.
[Roland H. Dippel]

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