Der 21. Juni ist traditionsgemäß der „Tag der Musik“, initiiert durch den Deutschen Musikrat. In den vergangenen Jahren haben Amateur- wie Profimusikerinnen und -musiker in ganz Deutschland rund um diesen Tag die Vielfalt der Musik gefeiert. In diesem Jahr ist fast alles anders. In Kooperation mit der nmz hat der Deutsche Musikrat Künstlerinnen und Künstler nach dem Stellenwert der Musik in Zeiten von Corona befragt.
Die kompletten Videostatements sind unter www.musikrat.de/musikpolitik/tag-der-musik/corona-talk oder unter www.nmzmedia.de abrufbar. Hier einige Auszüge:
Killt Corona das Musikleben? Oder: Welche Bedeutung hat die Musik in dieser Zeit für den Zusammenhalt der Gesellschaft?
Gottstein: Was wir merken, ist wie wichtig Gemeinschaft, Versammlungen und Gruppen von Menschen sind für den musikalischen Akt. In dem Moment wo uns die Möglichkeit genommen wird, uns zu versammeln und zu vereinen, leidet auch die Musik darunter. Insofern killt Corona nichts, aber es ist dennoch ein schwerer Schlag und stellt viele Fragen: Wie können wir eigentlich Musik machen, was wollen wir mit Musik und warum gibt es Musik?
Widman: Für mich hat die Musik in der Corona-Zeit sogar noch an Bedeutung gewonnen. Und die ganz wenigen Sachen, die stattfanden, sind jetzt wie zarte Pflänzchen, die man liebt, pflegt und schützt. Für mich ist es so erfüllend, dass einige Projekte nicht von vorneherein abgesagt wurden, sondern jetzt unter anderen Bedingungen stattfinden können. Dass einige Projekte gerettet wurden, hat mich auch psychisch gerettet in dieser sehr schweren Zeit.
Mönkemeyer: Im Moment ist es tatsächlich so, dass wir einerseits merken, dass Musik unsere Gesellschaft sehr stark zusammenhalten kann, wie ein Kitt. In der Zeit, in der wir verunsichert sind und vielleicht nicht wissen, wie es weitergeht, ist Musik etwas, das uns viel Kraft geben kann. Der Dialog, der quasi unsichtbar und eigentlich unerklärlich stattfindet zwischen Künstler und Publikum, ist eine Magie, die nur im Konzertsaal entstehen kann.
Hülsmann: In der Musik lässt sich unheimlich viel ausdrücken, die Emotionen müssen sich ja auch einen Weg bahnen können. In der Musik und generell in der Kultur geht das sehr gut.
Pintscher: Das Digitale wird eine Konsequenz haben für das Analoge, das wir weiterhin machen werden. Wir müssen gerade alle begreifen, dass dieser nostalgische, sehnsüchtige Blick zurück auf das, was war, und wie schön, einfach und zugänglich alles war, dringend hinterfragt werden sollte. Wir sollten versuchen, das alles über Bord zu werfen, um leichter, freier und mindestens genauso inspiriert in die Zukunft zu gehen wie zuvor.
Vogler: Das Musikleben, wie wir es kennen, tötet es sehr konsequent, vielleicht auch einmalig konsequent wie noch nichts anderes zuvor, aber gleichzeitig glaube ich: Die Musik tötet es nicht. Wir suchen gerade andere Wege, die sind enorm wichtig. Ich glaube, dass wir dabei auch viel lernen und dass dann das Musikleben weitergeht.
Mine: Ich glaube, dass Corona einerseits die Musikwelt ein bisschen zurückwirft, aber andererseits auch, dass neue Sachen auftauchen, die es ohne diesen Lockdown nicht gegeben hätte. Ich will es aber nicht romantisieren. Die meisten Sachen, die man arbeitet, macht man im Team, und wenn das wegfällt, ist man quasi auf sich allein gestellt. Viele Musiker und Musikerinnen sind ja vor allem im Live-Geschehen aktiv und wenn das wegfällt, steht die Uhr erst einmal still. Es ist eigentlich wie Kochen mit Salz und Pfeffer und sonst darf nichts verwendet werden. Gerade jetzt tauchen viele private Probleme auf. Sich psychisch fit zu halten ist schwieriger als sonst und da kann gerade Musik einem helfen.
Joris: Ich glaube, die Geburt der Kreativität ist in vielen Fällen die Langeweile, und die wird gerade, da wir relativ bewegungsarm sind, gefördert. Wir Musiker und Musikerinnen haben natürlich extreme Einnahme-Einbußen. Ich denke zum Beispiel an meine Crew, die definitiv als Freelancer von Job zu Job denkt. Wenn dann auf einmal alles zusammenfällt, dann ist das natürlich eine Existenzbedrohung, für die Clubs, die Techniker und für viele Musikerinnen und Musiker.
Eggert: Wenn uns jetzt so eine Corona-Krise umhaut und kaputt macht, dann war es vorher schon nicht gut. Ich glaube grundsätzlich an die Bedeutung von dem, was wir machen.
Gibt es für Sie ein Beispiel des derzeitigen „Corona-Musizierens“, das Sie besonders beeindruckt?
Gottstein: Das große Corona-Projekt habe ich noch nicht gefunden. Ich glaube, das kommt erst dann, wenn man die Bedingungen von Corona selbst in die Fraktur des Werkes einarbeiten kann. Trotz alledem haben wir im Moment viele Versuche, Musik zu machen. Die sind heroisch und lobenswert, aber es sind Surrogate. Ich habe aber das Gefühl, dass es schon Werke gab, die sich damit befasst haben. Ich nenne ein Stück: Martin Schüttler mit „My mother was a piano teacher“. Dort sind die Musiker in einem Container eingesperrt und werden nur per Video in den Konzertsaal übertragen. Zwar ist das Stück schon ein paar Jahre alt, aber es hat dennoch das, was Corona mit uns macht, schon ästhetisch antizipiert.
Widman: Das schönste war gleich am Anfang des Lockdowns, als wir alle noch in einer Schockstarre waren: Da fand das Witten-Festival für neue Kammermusik nur online und im Radio statt. Für mich war das wie ein Rettungsanker, dass ein Veranstalter eben nicht von vornherein geschmissen, sondern dass Harry Vogt vom WDR gesagt hat: Ich werde es stattfinden lassen, aber es wird anders sein.
Mönkemeyer: Was mich sehr rührt, ist, dass viele Orchester und private Initiativen und auch einzelne Künstler in die Altenheime gehen und in den Innenhöfen vor geöffneten Fenstern spielen und Menschen, die in Isolation sind, einen Moment der Freude schenken.
Hülsmann: Wir haben in Monheim in Nordrhein-Westfalen ein Konzert in einem Drive-In gespielt, sozusagen im Autokino. Das hat funktioniert. Ich habe gemerkt, dass das Bedürfnis der Menschen so groß ist, dass sowas dann tatsächlich wahrgenommen wird. Wenn die Clubs wieder normal bespielt werden können, kann es sein, dass man weiterhin gleichzeitig einen Live-Stream überträgt, so dass man mehr Leute dazu holen kann. Natürlich muss man das Copyright im Auge behalten.
Pintscher: Die große Chance ist, dass wir im Moment alle im gleichen Boot sitzen. Das ist kein europäisches Phänomen, sondern wir sind alle dabei, umzudenken, mehr Flexibilität zu zeigen. Hier sind wir in unserer archetypischen Kreativität gefragt, was das bedeuten kann, welche Rolle das in einer sich beschleunigenden Wahrnehmung in unserer Gesellschaft installieren wird. Können wir mal die Pause-Taste drücken, oder sind wir überhaupt noch in der Lage, die „Götterdämmerung“ durchzusitzen? Es stellen sich viele Fragen, und wenn wir uns erlauben, nicht auf alle Fragen Antworten zu haben, können wir noch viel kreativer durch diese Landschaft gehen, die wir gerade erst erkunden. Wir machen ja momentan einen großen Umweg. Es ist wichtig zu erkennen, dass der Umweg uns zu bisher unbekannten Orten bringt, an denen wir auch Reichhaltigkeit und Schönheit finden können.
Vogler: Mich beeindrucken alle Projekte, die mehr als nur einen Musiker einschließen, also Projekte, die die Gemeinschaft zeigen. Ich glaube wir müssen versuchen sehr kollegial zu sein und an die jungen Künstler zu denken und müssen versuchen uns konsequent als Musikergemeinschaft zu verständigen.
Mine: Was mich besonders beeindruckt, ist, wie schnell alle auf die Konzertsituation reagieren. Es gibt schon Autokinokonzerte und sogar ganze Autokino-Touren. Normalerweise werden solche Aktionen ein Jahr zuvor geplant, und die werden gerade innerhalb weniger Wochen aus dem Boden gestampft. Man sieht schon, wie viele Leute um einen rum EPs veröffentlichen über diese ganze Situation. Eine Song-Idee über Corona-Themen kann sicher viele Menschen erreichen.
Joris: Es gab Dinge, die mich negativ beeindruckt haben, wie, dass TV-Fläche, die normalerweise für Musik nicht vorhanden ist, jetzt durch die Corona-Zeit schnell auf einmal da war und schnelle und impulsive Formate brauchte. Diese Fläche wurde nicht gut genutzt. Auf der anderen Seite erinnere ich mich an die Freude auf dem Balkon, zusammen mit vielen Nachbarinnen und Nachbarn – da hat mich beeindruckt, dass Musik wesentlich sichtbarer wird.
Neumeier: Eigentlich bin ich Choreograf, ich kann also nur vom Tanz sprechen. Aber Musik ist sehr wichtig für mich. So hat mich die Musik Franz Schuberts spontan dazu inspiriert, das Ballett „Ghost Light“ auf den Weg zu bringen.
Eggert: Es gab natürlich einiges an Video-Opern, aber am meisten überzeugen mich Produktionen, die extra für dieses Format geschaffen wurden. Aber diese Dinge sind im Moment erst im Entstehen. Doch da gibt es nach wie vor das Problem der Finanzierung.
Tag der Musik 2021: Wie soll das Musikleben bis dahin aussehen? Welche Hilfen braucht die Musikwelt, damit dies gelingt?
Gottstein: Was wir am allerdringendsten brauchen, sind mutige Künstler, die versuchen neue Wege zu gehen. Unsere Aufgabe als Kuratoren, Veranstalter, Journalisten, die das begleiten, ist, zu würdigen und anzuerkennen, dass mal was scheitern darf, weil wir einen neuen Weg in der Musik brauchen.
Widman: Was wir von außen brauchen würden, ist Hilfe zur Selbsthilfe. Keiner von uns Kreativen will Geld für etwas bekommen, das er nicht macht. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir Musiker und Künstler es schaffen, mit den nötigen Auflagen trotzdem Musik machen zu können und dafür auch bezahlt zu werden und dass das Publikum wieder dabei sein kann.
Mönkemeyer: Ich glaube, dass es eine Verstärkung der Kammermusik gibt, aber es gibt unglaublich viele offene Fragen. Wenn ich zum Beispiel ein Streaming-Konzert mache und ein GEMA-pflichtiges Werk spiele, wird das zum Teil sehr teuer. Ich hoffe, dass wir eine gute Lösung finden, die auch finanziell tragbar ist und, dass gerade die freie Szene, die interessante Programme macht, die gar nicht so viel Unterstützung von Staatsseite findet, eine Regelung bekommt, die das Überleben ermöglicht. Momentan ist die Gefahr, dass die Vielfalt verloren geht, dass nur die „Großen“ unterstützt werden und die „Kleineren“ auf der Strecke bleiben.
Hülsmann: Wir haben gelernt, ein bisschen auf andere Menschen Rücksicht zu nehmen und generell umsichtiger zu sein. Wir müssen uns jetzt längerfristig darauf einstellen zu verstehen, was bei anderen Menschen los ist. Da müssen wir andere Sinne aktivieren. Das sollten wir beibehalten.
Pintscher: Diese absolute Selbstverständlichkeit, dass alles zugänglich ist und auch unsere partielle Abschätzigkeit, diese Gleichgültigkeit, weil man ja alles schon gehabt hat, wird, glaube ich, durch ein besseres Gefühl für den einzelnen Moment ausgetauscht.
Vogler: Ich glaube, das Musikleben, wie wir es kennen, wird zum Teil zurückkommen, aber wir werden auch lernen müssen, im 21. Jahrhundert endgültig angekommen zu sein, auch als klassische Musiker.
Mine: Ich glaube, dass es noch sehr viel mehr Kraft brauchen wird, als wir momentan schätzen können, alles an den Punkt zu bringen wie es mal war. Ich glaube, dass es wieder Veranstaltungen geben wird, aber es werden weniger Menschen da sein und es wird eine Weile dauern, bis wir wieder auf dem gleichen Stand sind wie vorher. Ich glaube aber auch, dass die aktiven Musikhörer heiß sind und das aufsaugen, was es an neuen Sachen gibt. Ich werde jedenfalls wieder Konzerte spielen, und darauf freue ich mich gerade extrem.
Joris: Wir müssen in erster Linie schauen, dass gerade die kleineren Künstlerinnen und Künstler, die nicht die nötigen Reserven haben, überleben können. Dafür braucht es gute Ideen aus Fördertöpfen von GEMA und Co, aber auch vom Staat. „No one get’s left behind“ ist ein schönes Motto, damit vor allem auch in der Kunst niemand vergessen wird.
Eggert: Ich glaube, wir müssen uns damit anfreunden, dass auch das Schweigen, das Pausieren nicht unbedingt bedeutet, dass man aufgegeben hat. Die Sehnsucht nach Musik und der Wunsch, wieder in Livekonzerte zu gehen, wird aber wieder wachsen, sobald diese Situation zum Alltag wird. Dieser Prozess kann aber länger dauern, das hängt von vielen äußeren Faktoren wie dem Impfstoff et cetera ab. Wir leben in einem Land, in dem ein grundsätzliches Bewusstsein für die Relevanz von Kunst und Kultur herrscht. Das gibt Hoffnung. Vielleicht verändert sich durch die Krise ja auch etwas zum Positiven, was zum Beispiel die große Diskrepanz zwischen Stargagen und den üblichen Honoraren des Mittelbaus betrifft, von der Freien Szene jetzt einmal ganz zu schweigen.