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Tag gegen TTIP. Foto: Hufner

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Zehn Jahre nach den TTIP-Protesten

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Drangeblieben 2025/05
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Zoll- und Handelspolitik haben aktuell in den Nachrichten einen hohen Stellenwert. US-Präsident Donald Trump überzieht Handelspartner mit Androhungen von Zöllen, so die EU und ihre Mitgliedstaaten, oder mit hohen Zöllen so China. Hintergrund ist unter anderem das US-amerikanische Handelsdefizit. In den ersten Tagen nach den Zollankündigungen fielen die Börsenkurse, die Sorgen vor einer weltweiten Wirtschaftskrise wuchsen.

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Fast schon sonderbar muten vor diesen aktuellen Ereignissen die Proteste gegen das geplante Handelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) in den Jahren 2015 und 2016 an. Bereits seit 2013 verhandelten die EU-Kommission, die in Handelsfragen Verhandlungsführerin für die EU-Mitgliedstaaten ist, und die USA über ein Handelsabkommen mit dem Ziel, noch vorhandene Zölle zu senken und Investitionen zu ermöglichen oder die Rahmenbedingungen hierfür zu verbessern. Dies erfolgte vor dem Hintergrund des Multilateralismus und einer Stärkung der weltweiten Handelsbeziehungen mit dem Ziel, die Kosten zu senken und die weltweite Wirtschaftsverflechtung voranzutreiben. Insbesondere die deutsche, außenhandelsgetriebene Wirtschaft erhoffte sich dadurch weitere Wachstumsimpulse und einen noch besseren Zugang zu den US-Märkten. Gegen TTIP formierte sich ab 2015 in Europa und insbesondere in Deutschland massiver Widerstand. Von Seiten der Umweltverbände wurde eine Absenkung von Umweltschutz- und Verbraucherstandards befürchtet. Sinnbildlich stand dafür das Chlorhühnchen. Die Gewerkschaften fürchteten, dass Arbeitnehmerstandards gesenkt werden könnten. Und in der Kultur- und Medienszene bestand die Befürchtung, dass US-amerikanische Unternehmen öffentliche Kulturförderung in Anspruch nehmen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seiner Substanz in Frage stellen könnten. Darüber hinaus wurde davor gewarnt, dass der starke Handelsraum USA und EU die wirtschaftlichen Probleme im sogenannten Globalen Süden verschärfen würden, da diese Länder keinen privilegierten Zugang zu den US-amerikanischen und europäischen Märkten erhalten sollten. Überdies wurde insbesondere von der ARD mit Nachdruck darauf aufmerksam gemacht, dass US-amerikanische Technologiekonzerne darauf drängen, eine neue Kategorie von Gütern, digitale Güter, zu etablieren und insbesondere für sich Privilegien beim Marktzugang zu beanspruchen.

Die Ironie der Geschichte ist, dass die TTIP-Verhandlungen nicht etwa aufgrund der Proteste in Europa und besonders in Deutschland auf Eis gelegt wurden, sondern mit der Wahl Donald Trumps im November 2016 zunächst nicht weiterverfolgt wurden. Die EU-Kommission konnte sich wohl seinerzeit keinen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen vorstellen. In der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden wurden die Verhandlungen nicht wieder aufgenommen. Heute, im Jahr 2025, scheint ein multilaterales Abkommen weiter denn je entfernt. Wir sprechen heute von einer multipolaren Welt, die Vorstellung, dass durch Handelsbeziehungen sich auch Demokratie und westliche Werte durchsetzen würden, mutet geradezu anachronistisch an.

Gleichwohl denke ich, dass die TTIP-Proteste kein Fehler waren. Bereits um die Jahrtausendwende wurde im Kultur- und Mediensektor intensiv über negative Auswirkungen von Handelsbeziehungen diskutiert und davor gewarnt, dass insbesondere US-amerikanische Unternehmen eine Vormachtstellung erreichen. Das „UNESCO-Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ (kurz Konvention Kulturelle Vielfalt) aus dem Jahr 2005 nimmt daher insbesondere den Mediensektor, hier speziell den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in den Blick und hat eine starke entwicklungspolitische Komponente. Kulturunternehmen aus dem globalen Süden sollte der Zugang zu den Kulturmärkten der westlichen Industrieländer eröffnet werden. Weder ist es bisher gelungen, der Vormachtstellung US-amerikanischer Technologiekonzerne eine europäische Antwort entgegenzustellen, noch wurde der privilegierte Marktzugang für Unternehmen aus dem globalen Süden ermöglicht. Im Gegenteil, die Macht der US-Technologiekonzerne ist noch größer als vor zwei Jahrzehnten. Besonders die Möglichkeiten der KI verbreitern die weltweiten Einflussmöglichkeiten dieser Unternehmen enorm. Die Kluft zwischen den Ländern des globalen Südens und den westlichen Industrieländern hat ebenfalls zugenommen. Die Folgen des Klimawandels, ein Thema, das im Rahmen von TTIP kaum angeschnitten wurde, sind tagtäglich spürbar.

In der multipolaren Welt muss die EU an Stärke gewinnen, um wirtschaftliche Prosperität, die die Grundlage für das deutsche Sozial- und Kulturstaatmodell ist, zu ermöglichen und zu sichern. Um so wichtiger ist es auch für den Kultur- und Mediensektor, die wirtschaftlichen und handelspolitischen Debatten auf EU-Ebene genau zu verfolgen und sich einzubringen. Dabei kann ein Schulterschluss mit anderen Mitstreitern, wie den Umweltverbänden und den Gewerkschaften, die auf europäischer Ebene gut aufgestellt sind, behilflich sein. Nach zehn Jahren muss ein eher ernüchterndes Fazit gezogen werden, TTIP ist zwar nicht gekommen, die Probleme sind trotzdem noch größer geworden.

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates

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