Das Jahr 2022 ist schon eine Weile her und bisher wurden noch keine Menschen zu Soylent Grün verarbeitet. Aber Überlebenskämpfe nehmen verschiedene Formen an, und wenn es irgendein Thema gibt, das meine Studierenden im Moment beschäftigt, dann ist es die vorgeschlagene GEMA-Reform, über die in wenigen Wochen entschieden wird.

Moritz Eggert.
Jahr 2025 … die überleben wollen
Das Thema GEMA ist komplex und wird oft vereinfacht dargestellt. Der Verteilungsplan ist ein dickes Buch. Warum es Begriffe wie E und U-Musik braucht und was deren Geschichte und Sinn ist, wird oft missverstanden und als eine willkürliche und abwertende Einteilung empfunden. In Wirklichkeit war den Gründern der GEMA nur bewusst, dass es unterschiedliche Bedingungen gibt, unter denen Musik komponiert wird. E- und U-Musik sind auch nicht so streng getrennt, wie oft dargestellt wird. Im Grunde kann man jederzeit als U-Komponistin Werke schreiben, die unter E laufen, und umgekehrt. Mit gegenseitigem Respekt können sich beide Welten positiv befruchten, denn im Kontext der Gesamteinnahmen und Ausschüttungen der GEMA stellt die E-Musik eine verschwindend geringe Minderheit dar, die noch nicht einmal annähernd an die Summen herankommt, die in U ausgeschüttet werden.
Die Säulen, die bei der GEMA kulturfördernd wirken, sind zweierlei. Zum einen werden E-Konzerte nicht Inkasso abgerechnet (Inkasso heißt: eingenommene Tantiemen entsprechen exakt den ausgeschütteten Tantiemen) und haben einen speziellen E-Tarif. Zum anderen funktioniert die E-Wertung anders als in U und berücksichtigt Aspekte wie ein über die Jahre angewachsenes Renommee oder das Vorhandensein eines „Gesamtwerks“ in Kategorien wie Vokalmusik, Orchestermusik, Kammermusik et cetera.
Diese Kategorien sollen nun komplett umgedacht werden, quasi mit der Brechstange in unglaublich kurzer Zeit. Es soll nur noch Inkasso und kein E und U mehr geben, stattdessen soll ein bisher nur vage formuliertes „Kultur“-Konzept greifen, dass das, was bisher E war, in keiner Weise mehr speziell fördert. Förderungswürdigkeit wird durch mehrere Gremien entschieden werden, bisher reichte ein einziger Ausschuss aus, um Grenzfälle zu besprechen.
Was bedeutet dies nun für meine Studierenden? In den ersten 10 Jahren ihrer Laufbahn haben diese meistens ausschließlich Aufführungen im akademischen, schulischen oder vielleicht auch kirchlichen Milieu. Die E-Abrechnung dieser Aufführungen ermöglicht ihnen – gemeinsam mit einem möglichst frühen Eintritt in die GEMA –, ein Portfolio an Werken und Punkten für die Wertung zu erarbeiten, das zunehmend zur Lebenssicherung beitragen wird. Das ist in der Regel ein sehr langwieriger Prozess – nur die wenigsten und alleraktivsten schaffen es vielleicht, irgendwann einmal (und meistens erst im fortgeschrittenen Alter) genügend Aufkommen zu erreichen, um ordentliche und damit stimmberechtigte Mitglieder der GEMA zu werden. Man würde staunen, wie viel bekannten Namen der zeitgenössischen Musik dies erst spät oder vielleicht auch nie gelingt. Warum? Weil sie vielleicht zum Beispiel vor allem im musiktheatralischen Bereich arbeiten, den die GEMA als „Großes Recht“ nicht wahrnimmt.
Eines ist aber sicher: um ein Aufkommen zu erreichen, das einem ein prekäres Überleben als zeitgenössische Komponistin ermöglichen kann (im Schnitt übrigens 5 Jahre später als bei U-Kollegen) ist die Anerkennung der ersten Hochschulkonzerte quasi Pflicht. Wenn nun Inkasso kommt, sind diese Konzerte nichts mehr wert, denn Hochschulen, Schulen, Universitäten und Kirchen zahlen GEMA nicht pro Konzert, sondern als Pauschale. Um ein klares Beispiel zu nennen: vorher bekam man für die Aufführung eines etwa 10-minütigen Werkes in einem Klassenkonzert vielleicht 30 oder 40 Euro (wahrlich keine beeindruckenden Summen), nun werden es nur noch vielleicht ein oder zwei Euro sein. Im Schnitt hat eine Studentin meistens nur eine Handvoll Konzerte pro Jahr, man kann ahnen, was dann dabei herumkommen wird.
Oder anders gesagt: Nach dem alten System, konnte ein Johann Sebastian Bach auch heute ordentliches Mitglied werden. Er hatte nämlich ein beeindruckendes „Gesamtwerk“ mit unterschiedlichen Besetzungen und Zeit seines Lebens regelmäßige Aufführungen. In dieser neuen GEMA hätte Bach dagegen keinerlei Chance, er gälte als absolute Null, ohne Chance,
jemals als Komponist anerkannt zu werden oder mitbestimmen zu können.
Kein Wunder also, dass das Studierende beunruhigt, denen jemand wie Bach (zusammen mit vielen anderen) zu Recht als Vorbild vermittelt wurde, vielleicht sogar ihre Liebe zur Musik entfacht hat.
Diese Liebe wird nun mit Füßen getreten, weil man sich einem „Markt“ unterordnet. Warum eigentlich?
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