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Seite 36 der nmz 6/2025.

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Damit das Spiel zu Denken gebe

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Uraufführungen 2025/06
Vorspann / Teaser

Mord, Totschlag, Liebe, Hass und Eifersucht gab es in der Oper schon immer. Dass sämtliche neuen Musiktheaterwerke nun im Juni von Terror, Gewalt, Krieg, Tod, Einsamkeit und Partnervermittlung erzählen, ist vielleicht dennoch bezeichnend für unsere Gegenwart. Das Theater Hagen bringt am 31. Mai „American Mother“ von Charlotte Bray zur Uraufführung, mit weiteren Vorstellungen am 9. und 14. Juni. Das Libretto von Colum McCann basiert auf der wahren Geschichte von Diane Foley, die vor einem US-Gericht auf den Mörder ihres Sohnes James trifft, den eine Terrorgruppe in Syrien 2012 entführt und schließlich ermordet hatte. Im Gespräch überwinden Mutter und Mörder den Hass und die Rollenzuschreibung von Opfer und Täter.

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Am 13. Juni folgt am MusikTheater an der Wien die Premiere von Miroslav Srnkas „Voice Killer“ über einen während des Zweiten Weltkriegs im australischen Melbourne stationierten US-Soldaten, der drei Frauen erwürgte. Das Stück machen den schizophrenen Serienmörder zum Kristallisationspunkt der heutigen Gesellschaft „mit all ihren Krankheitsbildern, Traumata, Leerstellen, Versäumnissen und Hilflosigkeiten“. Der Mörder wurde damals „Brownout Strangler“ genannt, da er von singenden Frauenstimmen derart fasziniert war, dass er durch Würgen an deren Stimmen zu kommen suchte. Auch Brutalität ist eine Form der Kontaktaufnahme, freilich eine pervertierte.

Am 20. Juni präsentiert die Deutsche Oper Berlin „Lash: Acts of Love – Love, Mute, Loss“ von Rebecca Saunders auf ein Libretto des Videokünstlers Ed Atkins. Eine Frau sucht nach einem Todesfall Sinn und Trost und lässt ihren Fantasien und Erinnerungen freien Lauf. Es geht um Liebe, Verlust, Sex, Krankheit, Küsse, Augäpfel, Genitalien, Fingerspitzen, Lippen und Wimpern. Angesichts von Tod, Sinnlosigkeit und Sterblichkeit erscheint ihr schließlich der Verlust als die Grundvoraussetzung dafür, Welt erfahren und lieben zu können. Es ist der alte Kreislauf von Memento mori und dem daraus abgeleiteten Carpe diem!

Premiere an der Oper Köln hat am 27. Juni Philippe Manourys Oper „Die letzten Tage der Menschheit“ nach dem gleichnamigen achthundert Seiten umfassenden Riesendrama von Karl Kraus. Dieses spielt in realsatirischen 220 Szenen an Schauplätzen in ganz Europa, etwa in Cafés, Schützengräben, Kriegsgerichten, Lazaretten, Lagern, Schulen, Wurstelprater, Frontabschnitten, Hotels, Kinos oder Zeitungen. Durch eine Überfülle an Zitaten seziert Kraus das apokalyptische Zusammenspiel von Religion, Erziehung, Politik, Propaganda, Medien und Profitgier während des Ersten Weltkriegs. Der französische Komponist nennt sein Werk nun „Thinkspiel“, damit das Spiel zu Denken gebe.

Das Theater Freiburg bringt am 28. Juni erstmalig „Alles durch M. O. W.“ von Józef Koffler/Johannes Schöllhorn heraus. Der jüdisch-polnische Komponist Koffler hatte in Wien bei Guido Adler und Egon Wellesz studiert und am Konservatorium im ukrainischen Lwiw/Lemberg atonale Harmonielehre und Komposition unterrichtet. Sein „Ballett-Oratorium“ über die Partnerschaftsvermittlungsagentur M. O. W. zeigt ein quirliges Karussell aus lauter aufgekratzten Menschen auf der hektischen Suche nach Liebe und Glück. Als die Wehrmacht 1941 die Ukraine überfiel, versuchte Koffler zu fliehen, verlor viele Manuskripte, wurde in ein Ghetto gesteckt und schließlich ermordet. Schöllhorns Instrumentation verhilft der Burleske nun mit über achtzig Jahren Verspätung zur Uraufführung.

Weitere Uraufführungen:

  • 01.06.: Karl Gottfried Brunotte, different voices/Textur 02/658 für Orgel und Computerklänge, Gemeindehaus Friedrichsdorf am Taunus
  • 05.06.: Andrea Lorenzo Scartazzini, Einkehr für Sopran, Alt, Chor und Orchester in Bezug auf Mahlers 10. Symphonie, Volkshaus Jena
  • 07./08.06.: Ezko Kikoutchi, Jannik Giger, Duo Otadama, KlangLab, neue Stücke bei Neue Musik Rümlingen in LAbbaye am Lac de Joux
  • 09.06.: Rolf Riehm, Griffe und Klänge von einer Stätte zur andern ins Ungewisse, 20. Inselfest der Stiftung Insel Hombroich; Jan Müller-Wieland, A Golden Room für zwei Violen und Kammerorchester in Anlehnung an Bachs Brandenburgische Konzerte, Kulturkirche Neuruppin
  • 23.06.: Milica Djordjević, Neues Werk für Ensemble Musikfabrik, Sendesaal WDR Köln
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