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21.08.2025 EWeimar: Gedächtnis Buchenwald Konzert in der Herderkirche im Rahmen des Kunstfest Weimar. Foto: Thomas Müller

21.08.2025 EWeimar: Gedächtnis Buchenwald Konzert in der Herderkirche im Rahmen des Kunstfest Weimar. Foto: Thomas Müller

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Kunstfest Weimar 2025: Brahms-Sternstunde beim Buchenwald-Konzert und viel Agitprop

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Siebte und letzte Runde des Kunstfests Weimar unter der Leitung von Rolf C. Hemke: Das spartenübergreifende Spätsommerspektakel der Klassikerstadt und größte Avantgardefestival Ostdeutschlands agiert dokumentarisch und künstlerisch streitbar. Eigentlich wird es in fast jeder Veranstaltungsnische von Musik durchdrungen.

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Am 21. August, dem zweiten Festivaltag, fand in der Weimarer Herderkirche das traditionelle Gedächtnis-Buchenwald-Konzert statt – „als musikalische Brücke des Gedenkens zwischen Weimar und Krakau“. Kunstfest-Schirmherrin Irina Scherbakowa setzte in ihrem Vortrag deutliche Worte gegen den „Diktator“ und den „Show Man“, welche derzeit die Weltpolitik antreiben. Brahms’ „Ein deutsches Requiem“ erklang mit Chen Reiss, Jakub Borgiel und der Capella Cracoviensis unter Jan Tomasz Adamus in einer dem Anlass angemessenen, weil aufregenden und kongenialen Aufführung.

Die Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa sieht Mitteleuropa und die Welt genau 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in einer derart nicht erwarteten Bedrängnis durch Gewalt, Populismus und Spaltung. Die Emigrantin erinnerte in ihrer Rede für das Buchenwald-Konzert 2025 nachdrücklich an politische Verfolgungen von Oppositionellen, Agierenden und Randgruppen in ihrem Heimatland Russland und warnte vor längeren Konfliktherden trotz der aktuellen Annäherung zwischen den Nationen. Programm und Interpreten des vom Kunstfest Weimar mit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora veranstalteten Konzerts waren wie in den vergangenen Jahren historisch legitimiert. Die israelische Sopranistin Chen Reiss, deren Auftritt mit großer Aufmerksamkeit und Spannung erwartet wurde, gestaltete das von Brahms erst nach der Uraufführung komponierte Sopran-Solo „Ihr habe nun Traurigkeit“ mit substanzieller Fülle und dabei berückend schwebend.

Das von Brahms auf die eigene Auswahl von Bibelversen ohne liturgische Positionierung entworfene Opus geriet durch das polnische Originalklang-Ensemble Capella Cracoviensis zu einer Rückgewinnung echter Faszination und Überwältigungskraft für das viel gespielte Werk. Der eröffnende Chorsatz „Selig sind, die das Leid tragen“ offenbarte sich als sanft körniges Geflecht von Stimmen und Gegenstimmen, Durchsichtigkeit und Fülle. Der Chor der Capella Cracoviensis agierte in idealer Relation von Empathie und bewusster Phrasierung. Jakub Borgiel sang die hohen Basssoli mit leicht genommener Deutlichkeit und unaufgeregtem Nachdruck. Jan Tomasz Adamus nahm in seinem Dirigat wirklich jeden Takt mit hochkonzentriertem Leichtgewicht und gab der Partitur gerade dadurch eine Hochspannung, welche weit über spirituelle Gewissenslasten hinauswies. Einzel- und Zusammenspiel der Musiker:innen waren bewundernswert.

Rolf C. Hemke holte in der Zusammenstellung seines letzten Kunstfests – wie es scheint – noch mehr politische Manifestationen und Warnrufe heran als in den letzten Jahren. In der Uraufführung „FaustX“ des südafrikanischen Theaterschöpfers Brett Bailey mit Third World Bunfight eröffnen Zuspielungen von Arrigo Boitos monumentalem Prolog aus dessen romantische „Faust“-Oper „Mefistofele“ die Überschreibung von „Faust II“. Damit beginnt in der Redoute des Deutschen Nationaltheaters ein äußerst artifizieller Kommentar zum technisch-industriellen Raubbau der kapitalistischen Kernnationen an der Welt.

Nicht von ungefähr sind Ivan Lius Installation „Echoes of the Land“ und die daraus entwickelte Musikperformance von via nova im Vortragsraum des Bauhaus Museums untergebracht. Gezeigt wird durch von einem Board mit Videoplan unterstützten Projektionen, wie gigantomanische Industrie- und Bauvorhaben Faktoren für das Aufkommen von Erdbeben werden. Motorisch eingesetzte Musik ist in diesem Arrangement Motor und Reaktion auf das in der Wissenschaft für Erdbeben-Simulationen verwendete Spring-Block-System. Christina Bernhardt, Johannes K. Hildebrandt und Daniel Gutiérrez setzen durch technische Simulation und funktionale Klänge einen schon zynischen Entwurf zum Kunstfest-Motto „Mutig leben“: Neben den in mehreren Kunstfest-Projekten gezeigten Auswirkungen von totalitärer, opportunistischer und populistischer Politik auf Lebensentwürfe und Einzelschicksale bringt die Performance die ökologischen Risiken des Anthropozäns ins Bild. – Durch das Ende der Intendanz von Hasko Weber und dem Startschuss „Äquinoktium“ des neuen Leitungsteams um Valentin Schwarz im September gibt es diesen Kunstfest-Sommer keine Eigenproduktion des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Dafür ist die Neugier auf die Kunstfest-Uraufführung von Sabri Tuluğ Tırpans Doku-Oper „Ganz unten“ nach dem Longseller von Günter Wallraff am 26. August groß. Eines lässt sich jetzt schon sagen: Das Kunstfest Weimar liefert alles andere als flach gepolsterte Beschwichtigungs- und Stillhaltekunst. Lösungsversuche gibt es keine, dafür aber eine weit greifende und um Differenzierung bemühte Spiegelung globaler Krisen.

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