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Kit Armstrong und Alfred Brendel. Foto: Susanne van Loon

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Lebendige Wiener Klavierschule

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In Erinnerung an den Pianisten, Essayisten und Mentor Alfred Brendel
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Er wolle dem Komponisten nicht „zu verstehen geben, was er eigentlich hätte komponieren sollen“. So lautet ein bekanntes Bonmot des Pianisten und Essayisten Alfred Brendel. Das Thema Werktreue und interpretatorische Freiheit beschäftigte den 1931 in Wiesenberg/Tschechien geborenen Pianisten zeit seines Lebens.

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Schüler, Enkelschüler, Urenkelschüler – pianistische Stammbäume sind spannend nachzuverfolgen, vermitteln aber oft ein eindimensionales Bild. Tatsache ist, dass in den beiden Nachkriegsjahrzehnten in Österreich eine ganze Zahl junger Pianisten reüssierte, die man im weitesten Sinne als Kinder der sogenannte Wiener Klavierschule bezeichnete wie Paul Badura-Skoda, Ingrid Haebler, Jörg Demus und Friedrich Gulda und eben auch Alfred Brendel, dem man im Rückblick vielleicht die nachhaltigste Wirkungsgeschichte zuschreiben kann.

Brendels Interpretationen von Haydn, Mozart, Beethoven oder Schubert wurden weltberühmt. Schuberts Musik sei für ihn „die am unmittelbarsten berührende“, sagte Brendel. Seinen frühen Ruhm verdankt er vor allem der Schallplatte. Viele Kompositionen der Wiener Klassiker hat er in seiner mehr als 40 Jahre andauernden Schallplatten-Karriere mehrfach aufgezeichnet. Mit zahlreichen Einspielungen, darunter etliche Gesamtaufnahmen, seines Lieblingsrepertoires, das er im Laufe der Jahre auf Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und Franz Schubert eingegrenzt hatte, war Brendel Kind seiner Zeit. Dabei gelang es ihm – wie kaum jemand seiner Generation –, sich immer wieder neu aufs einzelne Werk einzulassen.

Nach seinem Rückzug aus dem Konzertleben im Jahr 2008 war Brendel weiter als Autor und Dozent tätig und unterrichtete Pianisten und Kammermusiker. Er gab Meisterkurse und förderte junge Talente. Einen geistesverwandten Künstler fand Brendel in dem jungen amerikanischen Pianisten Kit Armstrong, den er bereits 2004, im Alter von 13 Jahren, erstmals getroffen hatte. Er bezeichnete ihn als „Wunderkind“ und „größte musikalische Begabung“, der er je begegnet sei. Unser Foto zeigt Brendel zusammen mit Kit Armstrong im Fürstensaal der Würzburger Residenz beim Mozartfest 2016, zu dem Armstrong als Artiste étoile eingeladen war. Er sei nicht Armstrongs Lehrer, winkte Brendel damals bescheiden ab, bestenfalls sein Mentor.

„Keiner hat Mozart, Beethoven, Bach so, wie sie wirklich rufen, nennen und lehren, schon gehört.“ Das schrieb der Philosoph Ernst Bloch. Hört man heute die eine oder andere Aufnahme Brendels, so gewinnt man die feste Überzeugung, Brendel habe den Schöpfern seines Lebens- und Lieblingsrepertoires nicht nur via Urtext über die Schulter geschaut, sondern sie auch wahrhaftig gehört.

Am 17. Juni ist Alfred Brendel im Alter von 94 Jahren in London gestorben.

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