Hauptbild
Cage, der Sandmann: Robert Wilson las die „Lecture on Nothing“ bei der Ruhrtriennale. Foto: Wonge Bergmann für die Ruhrtriennale, 2012

Cage, der Sandmann: Robert Wilson las die „Lecture on Nothing“ bei der Ruhrtriennale. Foto: Wonge Bergmann für die Ruhrtriennale, 2012

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Mit den Künsten musiziert

Untertitel
Ein Rückblick auf das Welttheater des Robert Wilson
Vorspann / Teaser

Robert Wilson ist gestorben, die Messen sind gesungen. Und dennoch wird ein über die letzten 50 Jahre schweifender Blick Jedermann und -frau, ob sie nun dessen Wirken mochten oder nicht, immer erkennen lassen, wie ikonisch und stilbildend die Bühnenarbeiten des gebürtigen Texaners für das Theater waren in der Wirkung ähnlich vielleicht nur jenen von Adolphe Appia für die ersten 50 Jahre des letzten Jahrhunderts.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Sucht man in den darstellenden Künsten nach vergleichbaren Figuren, so findet man nur Peter Brook und hierzulande, ohne Stockhausens oder Fassbinders Licht mindern zu wollen, natürlich Pina Bausch. Künstler mit grenzenloser Empfänglichkeit, Imaginations- und Ausdruckskraft, mit fernschweifenden Visionen und strenger Arbeit, deren Werk in der ganzen Theaterwelt, wenn nicht verstanden, so auf jeden Fall erkannt werden konnte. Und während Brook und Bausch auch überall geliebt wurden, so hat man sich vor Wilsons Längen und Langsamkeiten stets ein wenig gefürchtet, um sich dann in der Regel doch nicht dem Sog seiner entzeitlichenden Handlungen und Rituale entziehen zu können. Zeit war ihm, so ließe sich sagen, Gold der Sinne und brachte sie zum Strahlen.

Hierzulande fand Wilson, neben Frank­reich, eine der wichtigsten Weltgegenden für seine Arbeit vor, nachdem er mit Philip Glass’ „Einstein on the Beach“ (1976) und der Eigenkreation „Death Destruction & Detroit“ (Schaubühne 1979) entsprechendes Renommee erlangte. Und hierzulande war es die wohl am meisten nachhaltige Tat des großen Zampano Jürgen Flimm, Robert Wilson in Deutschland mit sicherem Gespür für Erfolg durchgesetzt zu haben – 1984 als Schauspielintendant in Köln mit dem legendären unvollendeten Großprojekt „the CIVIL warS“, 1990 dann am Hamburger Thalia mit „The Black Rider“ nach Carl Maria von Weber und mit Tom Waits. Ohnehin ein Jahr, als Wilson zudem mit Shakespeares „Lear“ in Frankfurt, Tschechows „Schwanengesang“ in München und Woolfes „Orlando“ in Berlin west-deutschlandweit dominierte und dem dann, dank der Verbundenheit zu Heiner Müller, beinahe drei Ost-Jahrzehnte am Berliner Ensemble folgten vom „Faust I&II“ bis zur „Dreigroschenoper“.

Opern wählte Wilson für seine Arbeit ebenso weit gestreut wie sorgsam aus: eine „Butterfly“ von sparsamer Japonaiserie, eine abstrakte „Alceste“ von Gluck, ein erstaunlich lichter „Parsifal“, eine „Traviata“ mit einem der markerschütterndsten Tode Violettas, eine exquisit stilisierte Monteverdi-Trias an der Mailänder Scala… Robert Wilson war eben ein ausgesuchter Musiktheatraliker. Ihm, der mit Tanzen sein Stottern überwand und Architektur studierte, geriet als dermaßen authentischem Choreographen alles zu Raumschrift und Klangraum, und so waren neben aller Ikonik und Bildhaftigkeit vor allem Wilsons Handlungsab- und Musikverläufe das schlechthin Umwerfende an seinem Theater: das millimeterhaft ausgezirkelte und sekundengenau getimte In- und Miteinander von Raum, Licht, Bild, Bewegung, Ges­te, Projektion, Klang zu einem allumfassenden Fluss. So eröffnete er der poetischen Sprache wie der komponierten Musik, ohne sie je zu brechen oder platt zu synchronisieren, ungesehene, unerhörte Zeitlichkeiten. Mithin Schwerstarbeit zwecks Leichtgängigkeit oder, wie Benjamin Henrichs einst für Die Zeit schrieb, „ein Sieg des Theaters über die Schwerkraft“. Weil diese Arbeit so viel Vollkommenheit ausstrahlte wie vielleicht Vermeer oder Mozart, unterzogen sich andere Kunstgrößen gut und gern deren nicht unerheblichen Mühen: Lucinda Childs, Tom Waits, Marina Abramović, Isabelle Huppert, Willem Dafoe, Marianne Hoppe…

Ein Welttheater also, und sicher auch ein Theater des globalen Westens. Indessen, Pekingoper oder Kabuki sagen nichts gegen Monteverdi und Lully und erst recht nichts gegen das Welttheater des Robert Wilson, der wie kaum jemand anderes das Ur- und Außereuropäische, das Außer- und Überzeitliche, Rituelle, Archaische im Kunstvollen strahlen ließ und somit auch Augen und Ohren öffnete für andere Traditionen, für feinste Übergänge und Valeurs, fürs Unmerkliche, schlicht für das Andere. Und solcherlei Kunst ist, zusammen etwa mit Menschenrechten, der Krankenversicherung und dergleichen, vielleicht noch mit das Beste, was vom globalen Westen in den kommenden fünfzig Jahren übrig bleiben sollte. Von welchem Theater als dem der Brook, Bausch, Wilson ließe sich Ähnliches heutzutage behaupten.

Print-Rubriken