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Eine Aussicht auf vergoldete Noten, wie hier in einem Berliner Seniorenheim, gibt es auch aktuell für die E-Sparte nicht. Foto: Martin Hufner

Eine Aussicht auf vergoldete Noten, wie hier in einem Berliner Seniorenheim, gibt es auch aktuell für die E-Sparte nicht. Foto: Martin Hufner

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Eine Bedrohung der deutschen Musiklandschaft

Untertitel
Die geplante GEMA-Reform aus historischer und aktueller Perspektive · Von Albrecht Dümling
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Das musikalische Urheberrecht geht in Deutschland zurück auf die Initiative von Komponisten um Richard Strauss. Diese konnten den Gesetzgeber überzeugen, dass die Aufführungsrechte nicht – wie zuvor – überwiegend den Verlegern zukommen. Vielmehr sollten auch die Komponisten, die Schöpfer geistigen Eigentums, wesentlich an den Einnahmen beteiligt werden. So kam es 1903 zur Gründung der „Genossenschaft deutscher Tonsetzer“ (GDT) mit einer eigenen Tantiemenanstalt. Aber die Verleger organisierten schon 1916 als Gegengründung die „Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte“, abgekürzt GEMA. Zu dieser neuen Gesellschaft gehörten vor allem Verleger und Urheber von Unterhaltungsmusik.

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Die Zahl der Aufführungen leichter Musik stieg rapide, womit auch die entsprechenden Einnahmen wuchsen, stärker als die der ernsten Musik. Da aber das Urheberrecht auf dem Prinzip der kulturellen Verantwortung beruhte, war die GEMA zu Abgaben an die E-Musik bereit. Dennoch sahen sich die in der GDT organisierten Komponisten immer mehr an den Rand gedrängt. Immer wieder behaupteten ihre Rivalen, wegen des großen Publikumsinteresses an musikalischer Unterhaltung seien ihre Rechte ebenso gut fundiert. Die E-Musik geriet damit in die Defensive. Dies änderte sich erst 1933 mit der Gründung der „Staatlich genehmigten Aufführungsrechts-Gesellschaft“ (Stagma), welche der ernsten Musik wieder eine Führungsrolle gab. Der Wechsel verdankte sich nicht zuletzt Richard Strauss, dem neuen Präsidenten der Reichsmusikkammer, der eben deshalb dieses Amt angestrebt hatte.

Der Komponist Max Butting, ein Pionier der Rundfunkmusik, war vor 1933 Vorstandsmitglied der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer gewesen. Obwohl er im NS-Staat als „Kulturbolschewist“ galt, durfte er auch in der Stagma angesichts seiner Expertise leitend tätig sein. Aus seiner Sicht war der staatliche Eingriff zur Gründung der Stagma nötig gewesen, um das Urheberrecht gegen die Angriffe der U-Musik zu schützen. Trotz der Einführung eines sogenannten „ernsten Drittels“ zur Förderung der ernsten Komponisten konnten deren Einnahmen aus dem musikalischen Urheberrecht kaum je die Existenz sichern, wie es die GDT ursprünglich erhofft hatte. Davon konnte auch bei der Stagma nicht die Rede sein. Über die damalige Situation schrieb Butting im Rückblick: „Wenn man sich überlegt, daß Richard Strauss als der wohl am meisten aufgeführte ernste deutsche Komponist an 37. Stelle im Einkommen aus den Aufführungsrechten stand, das heißt, dass 36 Unterhaltungskomponisten aus der Stagma höhere, und zwar ganz beträchtlich höhere Einkünfte bezogen, dann versteht man das absprechende Urteil, ja die Empörung über die ‚Gerechtigkeit‘ der Verteilungsmethode von Seiten derer, denen an der Stützung wertvoller Kunst mehr lag als an dem guten Geschäft der Unterhaltungsmusik.“

Ernstes Drittel

Leo Ritter, der Geschäftsführer der Stagma, hatte die Förderung der E-Musik durch das „Ernste Drittel“ gerne als die „Magna Charta“ der deutschen Urheberrechtsgesellschaft bezeichnet. Aber dieses Privileg der „ernsten“ Komponisten blieb auch in der NS-Zeit nicht unwidersprochen. Wohl auch ermutigt durch den Machtverlust von Richard Strauss nach seiner Entlassung als Präsident der Reichsmusikkammer, kritisierten U-Komponisten immer stärker die Bevorzugung der Konzertmusik. Im September 1940 veröffentlichte der Komponist Norbert Schultze „Gedanken zu einem neuen Verteilungsplan der Stagma“. In diesem Pamphlet wandte er sich auch unter Verweis auf sein eigenes Kriegslied „Bomben auf Engeland“ gegen die Einteilung der Komponisten und ihrer Werke in eine kulturell wertvollere und eine weniger wertvolle Klasse: „Diese Klasseneinteilung entspringt einer im übrigen Leben der Nation seit 1933 glücklich überwundenen politischen Grundeinstellung und verhindert durch die Gefahr einer Art von Klassenkampf den kameradschaftlichen Zusammenschluss aller deutschen Komponisten.“ Schultze schlug vor, in einem neuen Verteilungsplan die bisherige Aufteilung abzuschaffen. Diese Idee stieß bei Joseph Goebbels auf lebhafte Zustimmung. Es sei eine glatte Absurdität, dass „die Unterhaltungskomponisten 1/3 ihrer Einkünfte an die sogenannten ernsten Musiker abgeben müssen“. Obwohl die Stagma die Unterscheidung von E und U beibehielt, entfiel auf Druck des Ministers ab 1941 das „Ernste Drittel“. Für Richard Strauss war dies „die größte Katastrophe, von der die deutsche Musik jemals betroffen wurde“. Max Butting kommentierte: „Je reicher die U-Musik-Komponisten wurden, desto weniger waren sie geneigt, den ärmeren Kollegen so viel abzugeben, wie im Interesse einer kulturellen Entwicklung notwendig war.“

Und heute?

Die nach dem Krieg als Nachfolgerin der Stagma entstandene „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ (GEMA) kehrte wieder zur besonderen Förderung der E-Musik zurück. Auch das 1965 vom Deutschen Bundestag beschlossene Urheberwahrnehmungsgesetz verankerte noch einmal den kulturellen Auftrag der GEMA und damit die bewusste Ungleichbehandlung von E- und U-Musik. Ebenso verlangt das seit 2016 geltende Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG): „Die Verwertungsgesellschaft soll kulturell bedeutende Werke und Leistungen fördern.“ Dazu entwickelte die GEMA einen komplexen Verteilungsplan und ein Wertungsverfahren, das sich nicht nur am Aufkommen der Komponistinnen und Komponisten orientiert, sondern auch deren künstlerische Stellung im Musikleben berücksichtigt.

Wie schon in früheren Zeiten sind heute allerdings viele Schöpfer von Schlagern, von Tanz- und Filmmusik mit diesen Verfahren nicht einverstanden. Wieder verweisen sie auf die viel höheren Einkünfte aus ihrem eigenen Bereich. Außerdem sei die Unterscheidung von U und E oft strittig und deshalb überholt. Unter dem Stichwort „Neuausrichtung der Kulturförderung“ propagiert der von der U-Musik dominierte GEMA-Vorstand jetzt eine tiefgreifende „Reform“, über die im Mai abgestimmt werden soll. Gefordert wird ein genreübergreifendes Verteilungsmodell gemäß dem Inkasso-Verfahren im U-Bereich. Und der seit sieben Jahrzehnten übliche Grundsatz, dass zehn Prozent der GEMA-Erträge für kulturelle und soziale Zwecke bereitgestellt werden, wird angesichts des Wettbewerbs im internationalen Marktumfeld in Frage gestellt. Bislang waren 30 Prozent dieser Abgabe als Mindestbetrag zugunsten der E-Musik vorgesehen. Dies entspricht der satzungsmäßigen Selbstverpflichtung der GEMA, einen Minderheitsschutz zugunsten dieser Musiksparte dauerhaft zu garantieren.

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Eine Aussicht auf vergoldete Noten, wie hier in einem Berliner Seniorenheim, gibt es auch aktuell für die E-Sparte nicht. Foto: Martin Hufner

Eine Aussicht auf vergoldete Noten, wie hier in einem Berliner Seniorenheim, gibt es auch aktuell für die E-Sparte nicht. Foto: Martin Hufner

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E ist kein U

Die Änderungen, die jetzt zur Debatte stehen, übersehen die grundlegenden Unterschiede in den Produktions- und Rezeptionsbedingungen der beiden Kategorien U und E. Diese Unterschiede werden in den existierenden Verteilungsplänen für U und E berücksichtigt und werden schon jetzt fast allen Werken in diesen Bereichen gerecht. Die Zahl der strittigen Grenzfälle ist dagegen, wie man hört, verschwindend klein und kann deshalb nicht als Argument für die grundsätzliche Abschaffung dieser Kategorien herangezogen werden.

Der Widerstand gegen die drohenden Veränderungen wächst, zumal sie fast ausschließlich zu Lasten der E-Musik gehen. Statements junger Komponisten und Komponistinnen und von Moritz Eggert von Seiten des Komponistenverbands wurden ergänzt durch einen Offenen Brief der deutschen Musikhochschulen. Dieser warnt vor allem vor überwiegend kommerziell ausgerichteten Inkasso-Verteilungsregeln, welche die Diversität neu geschaffener Musik bedrohen. Großes Gewicht hat auch die Stellungnahme der Komponistin Charlotte Seither, der einzigen E-Musik-Vertreterin im Aufsichtsrat der GEMA. Die geplante Reform, so ihr Einwand, legt den Fokus nicht mehr auf das Werk, sondern auf die Werknutzung. Das ist ein Einschnitt von historischer Tragweite: „Alles in allem hebt die GEMA nahezu alle Förderhebel auf, mit denen sie in jahrzehntelanger Praxis ausgleichend auf die erschwerten Produktions- und Aufführungsbedingungen der Ernsten Musik reagiert hat.“

Nach über 100 Jahren würde die GEMA damit ein bewährtes Fördermodell einstellen, das in seiner Verbindung von genauer Abrechnung mit kultureller Förderung international sogar vorbildlich ist. Denn bislang förderte die GEMA auch solche Werke, die nicht direkt auf Publikumserfolge setzen, sich aber oft als dauerhaft erweisen. Die ästhetische Nachhaltigkeit führt zu bleibenden Werten und kommt damit den Autoren und ihren Nachfahren ebenso zugute wie den Verlagen und nicht zuletzt der GEMA. Eine nur auf Wirtschaftsfragen reduzierte Urheberrechtsgesellschaft hätte nicht nur ihren Sinn, sondern langfristig auch ihre Zukunft verloren.

Mit dem jetzt vorgeschlagenen Reform-Konzept wird das Konzept des „E-Komponisten“, so Charlotte Seither, ein für alle Mal aufgegeben. Damit verschwände dann nicht nur der Name einer Berufsgruppe, sondern auch deren Finanzierung: „Alles in allem haben berufständige Komponierende der Sparte E von Einkommensverlusten von 70 bis 90 Prozent auszugehen.“ Somit würde die jetzt drohende „Reform“ einen viel stärkeren Eingriff in das bewährte Modell bedeuten als die 1940 von Norbert Schultze angestoßene Änderung. Für Joseph Goebbels war damals die Entmachtung und Herabstufung der ernsten Musik ein willkommenes kulturpolitisches Signal. Kernige Marschlieder wie „Bomben auf Engeland“ und optimistische Durchhalteschlager wie „Davon geht die Welt nicht unter“ oder „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“ sollten so gerade im Krieg mehr Gewicht erhalten. Der 1940/41 mit Unterstützung des Ministers durchgesetzte Umbruch im musikalischen Urheberrecht war allerdings bei genauem Hinsehen eher Propaganda als eine wirtschaftlich spürbare Maßnahme.

Denn insgeheim glich Goebbels die Einkommensverluste der E-Musik durch eine stattliche Summe aus dem Etat seines Ministeriums aus. Eine vergleichbare Kompensation von Seiten der Bundesregierung ist heute nicht in Sicht.

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