Der Auftakt war ruppig. Der Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden Daniele Gatti hielt sich im verdeckten Graben des Festspielhauses exakt an die Anfangszeit. Allen Karteninhabern gelang das nicht. Es dauerte eine Weile bis sich das ungeplante Rumoren beim Platzsuchen in der Tiefe des Zuschauerraumes gelegt hatte. Wenn es danach turbulent wurde, dann auf der Bühne und geplant. Vor allem, wenn in der Nacht, in der plötzlich eine große Klopperei losgeht und in der Prügelfuge buchstäblich jeder – mit oder auch ohne ersichtlichen Grund – auf jeden losgeht. Dazu fliegt das stilisierte Bühnen-Nürnberg spektakulär auseinander, um sich dann wieder zusammenzufinden.

Die Meistersinger von Nürnberg III. Aufzug. Ensemble und Chor der Bayreuther Festspiele. Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Hügel kunterbunt – Mit den neuen „Meistersinger von Nürnberg“ suchen die Festspiele bewusst nach der Leichtigkeit im Ernsten
„Meistersinger“ ohne üblichen historisch politischen Überbau
Es war die erklärte Absicht von Festspielchefin und Regisseur mal die „Meistersinger“ ohne den üblichen historisch politischen Überbau zu liefern, also nicht gleich das Verquere am Deutschen auf die Couch zu legen. Wobei natürlich auch eine dezidiert unpolitische Deutung, wie in diesem Fall, auf ihre Weise schon wieder politisch ist. Demonstratives Lob aus der Königs- bzw. Regierungsloge macht letztlich auch stutzig.

Die Meistersinger von Nürnberg. II. Aufzug. Michael Nagy (Sixtus Beckmesser), Michael Spyres (Walther von Stolzing), Christina Nilsson (Eva). © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Ein Profiteur dieser Sicht ist vor allem jener Sixtus Beckmesser, der mit Walther von Stolzing und Hans Sachs um die Zuneigung der jungen Eva Pogner konkurriert. Und der mit seinem Einsatz bis zum Äußersten geht. Er bleibt auch hier ein zwar schrulliger, aber doch respektierter Meister und wird nicht als Außenseiter zum Prügelknaben. Seine Bandagen im dritten Akt scheinen etwas übertrieben. Er darf die Größe besitzen, Stolzings Dichterleistung zähneknirschend anzuerkennen. Er darf sogar der albernen Kuh den Stecker ziehen und mal für eine Weile die Luft rauslassen. Am Ende billigt ihm die Regie die Fortsetzung einer Diskussion mit Sachs auf Augenhöhe zu, wenn die beiden gemeinsam im Gespräch die Festwiese verlassen. Diesmal hatte Eva längst die Initiative zur Flucht mit Stolzing ergriffen.
Michael Nagy ist für dieses rehabilitierende Rollenporträt Beckmessers die darstellerische und vokale Idealbesetzung! Georg Zeppenfeld ist es als Hans Sachs nicht in jeder Hinsicht. Aber dieser Publikumsliebling der Festspiele besticht wie immer mit seiner Diktion und einer geschickten Einteilung seiner Kräfte, so dass er vor allem mit seinen Monologen beeindruckt. Auch wenn die Schlussansprache mal „nur“ als Ermahnung eines väterlichen Freundes an das junge Genie daherkommt und nicht gleich als Rede an die Nation. Ein Glücksfall ist Michael Spyres als Walther von Stolzing – er ist der personifizierte Gegenbeweis zu der These, dass es keine Wagnertenöre gibt. Und wenn es als „Baritenor“ ist. Bei ihm vereinen sich ein charismatisches Timbre, eine Leichtigkeit in allen Lagen und exzellente Diktion. Dass sich Eva, die bei Christina Nilsson eine erfrischende Jugendlichkeit ausstrahlt, für ihn entscheidet, ist klar. Magdalene (souverän: Christa Mayer) und David (eher bubenhaft mit liedhafter Leichtigkeit: Matthias Stier) werden eher nach dem Motto versprochen-ist-versprochen ein Paar.

Die Meistersinger von Nürnberg. I. Aufzug. Christa Mayer (Magdalene), Matthias Stier (David). Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Bei den Meistern setzt Jongmin Park für seinen Pogner mehr auf seinen edlen Tiefenglanz als auf klare Worte, während man Jordan Shanahan als Fritz Kothner bei jedem seiner Auftritte gerne zuhört und zusieht. Es hat schon Witz, wenn sich die Meister im ersten Aufzug zusammenfinden, einer von ihnen dauernd vor der Tür eine Rauchpause macht, ein anderer scharf auf das Büffet mit den Häppchen ist. Spektakulär ist das erste Bild für das Andrew. D. Edwards eine schwindelerregend steile Treppe (wie eine Kirchturmspitze) auf die Bühne gesetzt hat, die von einer kleinen Kirche gekrönt wird. Der Innenraum dieser Pyramide erinnert mit den Säulen, Lampen und Klappsitzen an das unverkleidete Festspielhaus selbst. Die Rückseite ist dann die Baukastenversion eines Handwerker-Nürnbergs. Für die Festwiese wird die altertümlich naturalistisch ausstaffierte Schusterstuben-Insel auf offener Szene abgebaut und Platz geschaffen.
Daniele Gatti ist ein souveräner Meister im Graben
Daniele Gatti ist ein souveräner Meister im Graben, setzt auf Leichtigkeit, hält sich aus szenischen Albernheiten raus und überzeugt im Ganzen. Ein paar Wackler mit dem von Thomas Eitler de Lint überzeugend geführten Chor werden sich geben.
Am Ende applaudierte das Publikum musikalischen Glanzleistungen. Und einer Inszenierung, mit der die Rezeptionsgeschichte der „Meistersinger“ ohne nach der Seite oder rückwärts zu schauen, einmal gelassen durchatmet.
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